Ludwigshafen Wie eine Biene Erfahrungen sammeln

Giuseppe Spota in „New Steps – Boléro“, zu dem der Assistent des Intendanten die Choreographie „Claire deL’UNE“ beigesteuert hat
Giuseppe Spota in »New Steps – Boléro«, zu dem der Assistent des Intendanten die Choreographie »Claire deL’UNE« beigesteuert hat.

Es gibt Tänzer, die schenken ihre besten Jahre allein einer Kompanie. Es gibt andere, die wie Bienen von Choreograph zu Choreograph eilen, um Erfahrungen zu sammeln. Der Italiener Giuseppe Spota ist so eine Biene. Bei Stephan Thoss hat der 33-Jährige nun vorerst ein Zuhause am Mannheimer Nationaltheater gefunden, von wo aus er weiterfliegen darf. Als Assistent unterstützt Giuseppe Spota den Tanzintendanten und steuert regelmäßig eigene Stücke bei.

Etwas Unerhörtes geschieht im Zuschauerraum. Vor der Vorstellung summt und brummt es im Publikum, Programmhefte rascheln. Aber dann lümmelt doch tatsächlich eine Frau in der ersten Reihe und streckt einen weiß bestrumpften Fuß in die Luft, über die Köpfe der anderen hinweg. Sie untersucht ihr Bein, dann klettert sie auf die Bühne, wo sie mit einem Tänzer die Gliedmaßen verknotet und auseinandersortiert. Mit einem humorvollen Pas de deux eröffnete Giuseppe Spota den Tanzabend „Hello Surprise“. „Die Zuschauer werden langsam auf die Idee eines Stückes vorbereitet. Das ist magischer als wenn das Licht plötzlich ausgeht“, erklärt der 33-Jährige seine Vorliebe für solch einen Einstieg. „Das machen andere Choreographen aber auch.“ Nicht jeder schafft es allerdings, in drei Wochen für 14 Tänzer ein 30-minütiges Stück einzustudieren, das komplex gewebt ist, energiegeladen und wunderschön. In „ClairedeL`UNE“ finden sich Paare vor einer silbrigen Mondsichelwand und verlieren sich wieder. Sie kreiseln umeinander, verwinden sich, stemmen sich empor. Kroch eben noch einer auf dem Boden, wird er im nächsten Moment in die Höhe katapultiert. „Ich mag es, auf drei Ebenen zu spielen: auf der Erde, der Mitte und oben, wo der Atem fließt“, sagt Spota. Und er liebt die Energie der tanzenden Masse, in der die Bewegung wogt. „Bei den meisten Choreographen tanzen Gruppen synchron“, sagt Spota. „Bei mir ist es, als würde man das Meer betrachten: Man sieht eine Welle, eine andere schwappt hinzu, dann rollt vielleicht eine besonders große heran.“ Fließend und ästhetisch sind auch die Bewegungen: Da wird ein Breakdance-Move mit Geschmeidigkeit in etwas anderes verwandelt, zu einem eigenen Mix zwischen den Genres. Vielleicht weil Giuseppe Spota neugierig alles Mögliche aufgesogen hat. Geboren 1983 in einem Dorf bei Bari begann er als Zwölfjähriger erst lateinamerikanische Tänze zu lernen, dann Modern, Ballett, Hip-Hop, Step. Heimlich, weil in der ländlichen Gegend tanzende Jungs schräg angeschaut wurden. Sein Vater durfte nichts wissen, und als er es irgendwann erfuhr, gab es Streit, aber man einigte sich. „Ich durfte in Florenz eine Tanzausbildung machen, musste aber auch studieren.“ Mit 18 Jahren arbeitete Spota schon als professioneller Tänzer, erst in Rom, dann bei Gruppo Nuova Danza Treviso. Vier Jahre blieb er bei Aterballetto, wo er die detailreichen Duette des Meisters Mauro Bigonzetti schätzen lernte. Nur ein Jahr schaute er bei Érich Gauthier in Stuttgart vorbei, dann zog es ihn weiter. Er wollte beim Netherlands Dance Theatre (NDT) vortanzen, weil die renommierte Truppe mit spannenden Choreographen arbeitet. Es klappte nicht, dafür bei Stephan Thoss in Wiesbaden, dessen Kompanie als Sprungbrett galt, um beim NDT zu punkten. Als düsterer „Blaubart“-Darsteller gewann Spota 2011 den Faust-Theaterpreis. Thoss erkannte Spotas Potenzial und unterstützte seine Leidenschaft fürs Choreographieren. An Thoss` Einfluss erinnert das Wilde und Organische in Spotas Stil. Das Werk des Belgiers Sidi Larbi Cherkaoui wiederum inspirierte den 33-Jährigen, Bühnenbilder kreativ miteinzubeziehen. Da werden etwa Wände verrückt, geöffnet und umgeworfen, um sie zu betanzen. „Ich sage den Tänzern immer: Wenn du einen Tisch auf die Bühne stellst, musst du ihn benutzen. Er muss Sinn machen.“ Auch bei den Bewegungen denkt der Italiener immer eine Bedeutung mit. Eine Frau in „ClairedeL`UNE“ etwa, die von vielen Männern umringt und verdeckt wird, die den Kopf abwendet und dann wieder von der Gruppe auf Händen getragen wird, ist Spotas Kommentar zur Debatte über die Burkas, die Ganzkörperverschleierung. Noch fühlt er sich als einer von tausend Choreographen, doch sein Ausnahmetalent hat sich herumgesprochen. 2014 durfte der Italiener sein erstes abendfüllendes Stück für Tanzmainz kreieren, ist in Deutschland und Italien gefragt. Für Aterballetto in Reggio Emilia bereitet er gerade Shakespeares „Sturm“ vor. In der Nähe, in Florenz, hat Giuseppe Spota ein Haus gekauft. Irgendwann möchte er an einem Ort bleiben, etwas aufbauen und eine eigene Kompanie leiten. Aber noch schwirrt er umher, halb als freier Choreograph, halb auf der Assistentenstelle in Mannheim, wo er Thoss und die Gastchoreographen bei Kreationen unterstützt. „Es ist hier perfekt für mich: Ich habe einen Platz und zugleich die Freiheit mich weiterzuentwickeln.“ Und wer weiß, vielleicht wird er doch noch beim Netherlands Dance Theatre landen – dann als Choreograph. Termine Tanzabend „New Steps - Bolero“ mit Stücken von Spota, Landerer und Thoss am Nationaltheater Mannheim am Mittwoch, 20. September und Sonntag, 8. Oktober. Karten unter Telefon 0621/1680258, Internet: www.nationaltheater-mannheim.de.

Giuseppe Spota
Giuseppe Spota
x