Ludwigshafen Kritikerliebling und kluger Kopf

Zurückhaltend zwischen Steinway und E-Piano: Vijay Iyer.
Zurückhaltend zwischen Steinway und E-Piano: Vijay Iyer.

Der amerikanische Pianist Vijay Iyer hat in knapp zwei Jahrzehnten eine beachtliche Entwicklung genommen. Er wird mit Auszeichnungen überhäuft und ist zum Liebling der Kritiker geworden. Beim Festival Enjoy Jazz konnte man seinen Werdegang bei mehreren Auftritten verfolgen, diesmal war er mit seinem neuen Sextett im Programm. Wer in der Alten Feuerwache in Mannheim dabei war, hatte sicher einen der Höhepunkte des Festivals erlebt.

Das Trio, mit dem Vijay Iyer seit 13 Jahren seine intensivste und ergiebigste musikalische Beziehung pflegt, bildet den Kern des neuen Ensembles. Kontrabassist Stephan Crump und Schlagzeuger Marcus Gilmore sind dessen Energiezentrum und halten die komplexen Rhythmen zusammen. Das gibt den drei Bläsern, dem Kornett- und Flügelhorn-Spieler Graham Haynes, dem Tenorsaxophonisten Mark Shim und dem Altsaxophonisten Steve Lehman, einigen Bewegungsraum, auch wenn dieser durch die klaren kompositorischen Strukturen dann doch nicht so groß ist. Die Kompositionen stammen alle von Iyer und bewegen sich auf eine ganz eigene Weise zwischen Komposition und Improvisation. Die große musikalische Offenheit Iyers hängt vielleicht mit seinem biografischen Hintergrund zusammen. Seine indisch-tamilischen Eltern kamen als Einwanderer in die USA, er wurde in Rochester geboren, erhielt schon als Kind klassischen Geigenunterricht. Das Klavierspielen brachte er sich später mehr oder weniger selber bei. Er absolvierte zunächst ein Physikstudium, hängte ein Musikstudium mit Promotion an. Nebenbei spielte er mit bekannten Jazzmusikern wie Steve Coleman und George Lewis. In New York bewegte er sich dann in der Avantgardeszene und fand die Aufmerksamkeit von Roscoe Mitchel, Shannon Jackson, Cecil Taylor und anderen. Mit dem ebenfalls indischstämmigen Saxophonisten Rudresh Mahanthappa bildete er ein Ensemble, ging aber auch mit dem HipHopper Mike Ladd ins Studio und komponierte zeitgenössische Musik. In den Kritikerumfragen des amerikanischen Jazzmagazins „Down Beat“ belegt er seit Jahren erste Plätze, mehrere amerikanische Stiftungen haben ihn mit hochdotierten Preisen ausgezeichnet. Und als Harvard-Professor unterrichtet er neuerdings Studenten in Jazzgeschichte und Improvisation. Der Mann, der da auf der dicht bevölkerten Bühne hinter Steinway und Fender Rhodes Piano Platz genommen hat, ist also ein ebenso kluger wie origineller Kopf. Seine Musik kommt allerdings kein bisschen verkopft daher, hat Groove und Spielfreude, atmet Jazzgeschichte wie auch jede Menge gegenwärtige Einflüsse und ist bei aller rhythmisch-harmonischen Kompliziertheit leidenschaftlich und mitreißend. Das hat natürlich auch mit seinen Mitstreitern zu tun, allesamt technisch souveräne Virtuosen mit ausgeprägter Individualität, die immer wieder exquisite solistische Visitenkarten abliefern. Shim tut dies mit vollem Ton im Stil der großen Tenorsaxophonisten. Lehman mit seinem beweglichen Altsaxophon ist den spröden Attacken eines Anthony Braxton näher. Und Haynes entpuppt sich als Klangzauberer, der auch gerne Elektronik ins Spiel bringt. Vijay Iyer muss da überhaupt nicht den Tastenlöwen geben, agiert die meiste Zeit fast sparsam und zurückhaltend, lässt aber zwischendurch schon auch sein Können aufblitzen. Eines seiner neuen Stücke hat er dem schwarzen Poeten und Aktivisten Amiri Baraka gewidmet. Ein politisch wacher Geist ist der Mann also auch. CD-Tipp Vijay Iyer Sextett, „Far from over“, ECM.

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