Ludwigshafen „Europa ist ein fragiles Gebilde“

In Kroatien vertrieben, in Polen von Zensur bedroht: Regisseur Oliver Frljic vor dem Mannheimer Nationaltheater.
In Kroatien vertrieben, in Polen von Zensur bedroht: Regisseur Oliver Frljic vor dem Mannheimer Nationaltheater.

Die größte eigene Produktion des Nationaltheaters für die Schillertage ist diesmal kein Text von Schiller. Mit dem Motto des diesjährigen Festivals, „Nach der Freiheit“, hat die Arbeit von Oliver Frljic aber sehr viel zu tun. Der Theaterabend erzählt anhand der Lebensgeschichten des Regisseurs und seiner Schauspieler vom Leben im Exil und von der Bedrohung der Freiheit in Europa.

Nach Skandalregisseur sieht Oliver Frljic kein bisschen aus. Der 41-Jährige ist ein schmächtiger, überaus freundlicher Typ, mit dem man umstandslos ins Gespräch kommt. Er sei ein wenig gestresst, war gerade in Berlin, wo seine Warschauer Inszenierung „Der Fluch“ im Gorki Theater gastierte, jetzt zurück, Flieger verspätet, Probleme im Hotel, noch nichts gegessen. Aber alles kein Problem. Und dann sind wir auch schon mitten im Gespräch über Theaterskandale, Zensur, rechte Populisten und die Gefährdung der Demokratie in Europa. In Berlin wurde seine Inszenierung problemlos aufgeführt, in Warschau war das ganz anders. Da gab es Proteste der katholischen Kirche, Störaktionen, Zensurforderungen, politischen Druck auf das Teatr Powszechny, das von öffentlichen Subventionen abhängig ist. Allerdings hat Frljic in seinem Stück mit Provokationen auch nicht gegeizt. Eine Frau bekennt sich da zur Abtreibung, in einer anderen Szene hat eine Schauspielerin Oralverkehr mit einer Papst-Wojtyla-Puppe, der Papst wird als „Schutzheiliger der Pädophilen“ verunglimpft. In Berlin mag so etwas durchgehen, in Passau oder Regensburg hätte es wohl auch Ärger gegeben. Frljic beteuert, dass es ihm dabei nicht um die Verletzung religiöser Gefühle gehe, sondern um deren Missbrauch. Die katholische Kirche sei in Polen in Wirklichkeit die größte politische Partei. In Ländern wie Polen, Ungarn oder Kroatien, wo Frljic von 2014 bis 2016 Intendant des Nationaltheaters in Rijeka war, seien rechte Bewegungen auf dem Vormarsch, die „intolerant und kryptofaschistisch“ seien. „Und das Schlimme ist, sie sind demokratisch gewählt, und die Demokratie hat nicht die Mittel, dies zu stoppen.“ Die EU sei ein „sehr fragiles Gebilde“, Meinungsfreiheit („freedom of speech“) werde hier verwechselt mit Hass-Polemik („hate speech“). Frljic wirkt sehr besorgt, fast verzweifelt. In seiner kroatischen Heimat sieht der Regisseur derzeit kaum eine Arbeitsmöglichkeit für sich. In seinen Inszenierungen hat er sich ausführlich mit dem Balkankrieg und seinen Folgen beschäftigt, hat die Verbrechen von Kroaten und Serben in teilweise drastischen Bildern angeprangert und dafür politische Anfeindungen und persönliche Bedrohungen erhalten. „Man hat mich angegriffen, angespuckt, ist in meine Wohnung eingebrochen. Es ist mir unmöglich, weiterhin in Kroatien zu leben.“ Allerdings arbeitet Frljic weiterhin im Vorbereitungsteam für die europäische Kulturhauptstadt Rijeka 2020. Beim Festival „Offene Welt“ in Ludwigshafen waren 2015 mit „Aleksandra Zek“ und „Der Ristic Komplex“ zwei seiner Inszenierungen zu sehen, die sich mit dem Jugoslawienkrieg auseinandersetzen. Seinen Arbeitsschwerpunkt hat der Regisseur inzwischen nach Westeuropa verlegt, inszeniert in Graz, München, Dresden und bei den Wiener Festwochen. Am Münchner Residenztheater hat er gerade Heiner Müllers „Mauser“ herausgebracht, ein Stück, das die Gewalt als Mittel der Revolution zum Thema hat. Die Gewalt ist für Frljic ein zentrales Thema seiner Theaterarbeit: „Im Westen propagieren wir eine Ideologie der friedlichen Koexistenz, aber unter der Oberfläche gibt es eine strukturelle Gewalt, die unter anderem von den Ungerechtigkeiten des Wirtschaftssystems herrührt. Politische Veränderung geht nicht ohne Gewalt.“ In seiner ersten Münchner Inszenierung „Balkan macht frei“ hatte sich Frljic schon einmal mit seiner Situation als kroatischer Regisseur, der in Westeuropa politische Zuflucht und Arbeitsmöglichkeiten findet, auseinandergesetzt. In erweiterter Form wird es nun auch bei „Second Exile“ um dieses Thema gehen. Seine Lebensgefährtin, die kroatische Schauspielerin Linda Begonja, und, als eine Art Alter Ego seiner selbst, der bosnische Schauspieler Enes Salkovic bringen zusammen mit vier Mannheimer Schauspielern ihre Erfahrungen und Geschichten mit Exil und Migration in das Stück ein. Warum geht jemand in ein anderes Land? Was erlebt er da? Wie fühlt er sich dabei? „Ich wollte die Schauspieler nicht instrumentalisieren“, sagt Frljic, „sie sollten ihre eigenen Geschichten erzählen. Von Jacques Malan wird man erfahren, was ihn nach Südafrika und wieder zurück nach Europa führte. Und die aus Polen stammende Anne-Marie Lux wird von ihren Erinnerungen an dieses Land erzählen und diese konfrontieren mit den aktuellen Polen-Erfahrungen des Regisseurs. „Mich interessiert diese Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Wie überträgt man Geschichten in die literarische Form eines Theaterstücks“, fragt Frljic. Nur mit einem Konzept sei er in die Proben gegangen, man habe viel miteinander gesprochen, sich kennengelernt. Aus den Geschichten, die hier erzählt wurden, habe er dann bestimmte Episoden ausgewählt und in eine feste Form gebracht. Nach einer Stunde braucht Oliver Frljic endgültig etwas zu essen. Ob es in der Nähe ein libanesisches Restaurant gebe, er liebe diese Küche. Mit deutscher und türkischer Küche könnte man dienen, mit libanesischer leider nicht. Kein Problem, irgendeine App wird schon weiterhelfen. Termine Uraufführung am Donnerstag, 22. Juni, 19.30 Uhr, im Schauspielhaus des Mannheimer Nationaltheaters. Weitere Vorstellung am Freitag, 23. Juni, 20 Uhr.

Probenfoto mit Linda Begonja, Boris Koneczny, Enes Salkovic, Hannah Müller, Anne-Marie Lux und Fabian Raabe (von links).
Probenfoto mit Linda Begonja, Boris Koneczny, Enes Salkovic, Hannah Müller, Anne-Marie Lux und Fabian Raabe (von links).
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