Rhein-Pfalz Kreis Ein umstrittener Baum

91-93955492.jpg

Ludwigshafen. Für die einen ist es der Brotbaum des Waldes. Eine Baumart, die auf dem Markt nachgefragt ist – und Geld bringt. Für die anderen spiegelt sie den Monokulturen-Wahnsinn wider. Das Kuratorium „Baum des Jahres“ hat mit der Fichte 2017 ein streitbares Exemplar ausgesucht. Mit Absicht.

Wer sich mit der Fichte beschäftigt, lernt etwas über Geschichte – wie Wald einmal war. Der Baum regt aber auch Diskussionen über die Zukunft an – wie Wald einmal sein soll. Um die Bedeutung der Fichte für den Forst zu verstehen, muss man etwa 200 Jahre zurückblicken. „Vor Erfindung der Dampfmaschine und der Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas waren Holz und Holzkohle entscheidende Energielieferanten. Mit fatalen Folgen für den Wald“, sagt Volker Westermann. „Die Wälder waren übernutzt, degeneriert und die Böden waren ausgelaugt.“ Der Bildungsförster vom Forstamt Pfälzer Rheinauen hat mit uns bereits Tier, Vogel und Pilz des Jahres ins Rampenlicht gerückt. Heute begibt er sich mit uns auf die Spuren der Fichte. Sie steht eigentlich in Bergwäldern. Nach den großen Kahlschlägen der vorindustriellen Jahrhunderte aber wurde sie im großen Stil überall dort angepflanzt, wo nichts mehr war. „Stellt euch vor, die Randbereiche des Pfälzerwalds waren total abgeholzt. Kalmit zum Beispiel steht für kahle Mitt’.“ Ach was! Wieder etwas gelernt. Stück für Stück wurden diese Flächen wieder in Bestockung gebracht, wie die Forstleute sagen – also neu angepflanzt. Mit den Baumarten, die hierzulande den Wald von Natur aus prägten, war das nicht möglich, denn Rotbuchen und Eichen brauchen laut Westermann den Schutz des umgebenden Waldes und intakte Böden, um problemlos anwachsen zu können. Für die freiliegenden Flächen, auf denen kleine Bäumchen erbarmungslos Hitze und Frost ausgesetzt waren, mussten sich die Förster etwas anderes ausdenken. Sie pflanzten Pioniergehölze an. „Vorreiter also, die sich dorthin trauen, wo noch nichts ist.“ Dazu gehören die Fichten. Sie wachsen auf humusarmen Böden und unter extremen Witterungsbedingungen an. Obendrein liefern sie wertvolles Holz, das als Bau- und Konstruktionsmaterial begehrt ist und Geld bringt. Klingt doch super. Wo ist denn dann der Haken an der Fichte?, wollen wir vom Förster wissen. „Es wurden oft zu viele Fichten auf einmal angepflanzt, Stichwort: Monokulturen, weil man eben scharf auf das Holz war und sie scheinbar so mühelos wuchsen. Aber eben nur scheinbar. Die Fichte ist bei uns nicht sehr standfest. Bei starken Stürmen hat es immer wieder große Löcher in den Wald gerissen.“ Das muss jetzt mal näher erklärt werden. Wenn wir Westermann richtig verstehen, wächst die Fichte zwar auf fast jedem Boden an, ist aber nicht unbedingt gut verwurzelt mit der Erde, auf der sie steht. Sind die Bedingungen nicht wie bei ihr zu Hause, fällt die Fichte leicht um und ihr Immunsystem ist so schwach, dass sie schnell zum Opfer von Schädlingen, wie dem berühmten Borkenkäfer, wird. In ihrer Heimat, den höheren Mittelgebirgen und dem Alpenraum, ist es eher kühl als aufgewärmt. „Da ist die Pfalz nicht unbedingt der richtige Ort für sie. Dazu kommt der Klimawandel, der ihr wohl zu schaffen macht“, sagt Volker Westermann. Die Baumarteneignungskarten des Kompetenzzentrums für Klimawandel in Trippstadt zeigten jedenfalls: Die Fichte wird in vielen Teilen von Rheinland-Pfalz keine Zukunft mehr haben. So steil ihr Aufstieg war, als es galt, kahle Mitten in der Pfalz aufzuforsten, so steil wird auch ihr Absturz sein. „Ganz verschwinden wird sie aber hoffentlich nicht“, sagt Westermann. „Ja darf sie nicht“, fügt er eindringlich hinzu. Denn die Fichte liefere nicht nur gutes Holz, sondern an sie seien auch unzählige Lebewesen gebunden. Der Herrenpilz etwa, der auch Fichtensteinpilz genannt wird. Aber auch viele andere Pilze, Moose, Flechten und Käfer. Ohne diesen Baum würden auch sie aus der Landschaft verschwinden und die Natur artenärmer machen. „Die Fichte sollte uns daran erinnern, besser mit der Natur umzugehen, weniger fossile Brennstoffe zu nutzen, gegen den Klimawandel anzukämpfen. Und wir Förster müssen uns überlegen, wie der Wald der Zukunft aussehen kann.“ So gesehen, findet unser Bildungsförster, ist es klug gewesen, die Fichte zum Baum des Jahres zu wählen.

91-93955491.jpg
x