Ludwigshafen „Die Menschen werden nicht mitgenommen“

Peter Schaar, ehemaliger Bundesbeauftragter für Datenschutz.
Peter Schaar, ehemaliger Bundesbeauftragter für Datenschutz.

Rechtspopulismus und Internet-Konzerne als Gefahr für die Demokratie: Um dieses Thema drehten sich am Rande der Schillertage mehrere Diskussionsrunden im Nationaltheater. „Die Freiheit und ihre Feinde“ war die vom SWR veranstaltete Reihe überschrieben.

Ist der Rechtspopulismus eigentlich ein neues Phänomen? Rolf-Dieter Krause, früherer ARD-Korrespondent für Europapolitik, erinnerte an die Sinus-Studie von 1981. Diese kam damals zu dem Ergebnis, dass 13 Prozent der deutschen Bevölkerung ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben. Weitere 37 Prozent teilten der Untersuchung zufolge einzelne rechtsextreme Überzeugungen und waren für solches Gedankengut anfällig . „Das ist die Hälfte der Bevölkerung“, betonte Krause und vermutete, dass sich an dem Befund seitdem nicht viel geändert habe. Krauses Annahme bestätigte Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld. Dass es ja schon immer so gewesen sei, fand Zick allerdings wenig beruhigend. Bedenklich stimmte den Wissenschaftler, dass sich auch die traditionellen Volksparteien zusehends rechtspopulistischen Positionen öffnen und die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, in der Gesellschaft zugenommen hat. „Es gibt nicht unbedingt mehr Rechtsextreme, aber sie sind radikaler geworden. Es gibt mehr Hasskriminalität“, sagte Zick. Ein sehr gut organisierter Rechtsextremismus könne inzwischen an Meinungen anschließen, die auch „in der Mitte der Gesellschaft“ verbreitet seien. Vor einer Marginalisierung dieser Frustrierten warnte Ulrich Sarcinelli, Politikwissenschaftler an der Universität Koblenz-Landau, und wies auf politische (Fehl-)Entwicklungen hin. Ursachen für das wachsende Misstrauen breiter Bevölkerungskreise gegenüber der Demokratie und die „Wut auf die da oben“ sieht er in der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung der vergangenen Jahrzehnte, die die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklaffen lasse, und im „technokratischen Eliteprojekt Europa, bei dem die Menschen nicht mitgenommen wurden“. Noch massiver legte Stephan Petzner, der frühere Wahlkampfhelfer Jörg Haiders in Österreich, seinen Finger auf diese Wunden. Die Politiker der herkömmlichen Parteien seien „zu weit weg von den Menschen“, meinte der Spezialist für Rechtspopulismus aus eigener praktischer Erfahrung. Den Parteien empfahl Petzner dringend eine Debatte über die Frage, welche Werte die Gesellschaft eigentlich noch zusammenhalten. Den Österreicher, der sich als geläuterter Rechtspopulist versteht, konfrontierte der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen mit einem Zitat aus seinem erst in diesem Jahr erschienenen Buch „Trump to go“. Darin heißt es: „Unsere Politiker sind zu faul, zu fett und zu träge geworden.“ Außerdem erinnerte Pörksen an seine Kampagne von einem „tschetschenenfreien Kärnten“ in seiner Zeit als Haiders Wahlkampfberater. Noch vor zwei Jahren, hielt Pörksen ihm vor, habe er Hetze gegen Minderheiten als legitimes Mittel der Politik bezeichnet. Petzner distanzierte sich zwar von seinem damaligen Slogan, verwies aber darauf, dass alle Parteien in Wahlkämpfen mit Stimmungen und Emotionen arbeiten würden. „Wahlkampf ist Krieg“, zitierte er den amerikanischen Spin Doctor David Greenberg. Bedenklich an Petzners Selbstverteidigung stimmte, dass sie Unmenschlichkeit als Mittel zum Machterwerb rechtfertigt. Die Entfremdung zwischen Politik und technisch-wirtschaftlicher Elite einerseits und Teilen der Gesellschaft andererseits machte eine Diskussion über Digitalisierung als Bedrohung der Freiheit deutlich. Moderator Michael Risel stellte ihr Kants berühmte Definition der Aufklärung als „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ voran und fragte, ob mit der Digitalisierung die Unmündigkeit zurückgekehrt sei. Von den emanzipatorischen und demokratischen Segnungen des Internets, mit denen die neue Technik eingeführt wurde, sei jedenfalls nicht mehr die Rede. Diktatur und Unmündigkeit sahen in der Tat alle Experten unmerklich wiederkehren. Der Journalist Adrian Lobe sprach von einer Geheimpolitik in der „Dunkelkammer der Algorithmen“. „Was die Programmierer in Silicon Valley machen, wissen wir nicht. Jeder Demokrat muss sagen: Das möchten wir nicht.“ Der frühere Bundesbeauftragte für Datenschutz Peter Schaar sprach mangels Transparenz bei Internet-Giganten wie Google oder Facebook von einer „sanften Diktatur“ und Entpolitisierung der Gesellschaft. Die Bürger würden mittels ihrer Daten ausgeforscht und ihr Verhalten gesteuert, indem bei Nonkonformität etwa Wohnung oder Arbeitsplatz verweigert würden. Eine Antwort auf die Frage, warum es keinen gesamtgesellschaftlichen Aufschrei und Widerstand gegen die Macht der Internetkonzerne gebe, wusste keiner eine Antwort. Es werde Zeit, sagte der Soziologe und Physiker Dirk Helbing, Forderungen an die Politik heranzutragen und selbst aktiv zu werden. „Es braucht einen neuen Zeitgeist“, meinte er.

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