Ludwigshafen Die Hitzeschlacht von Mannheim

Kultband der neunziger Jahre: Bobby Gillespie von Primal Scream.
Kultband der neunziger Jahre: Bobby Gillespie von Primal Scream.

Nach den ersten beiden Tage auf dem Gelände rund um das Reitstadion am Maimarkt waren die Erwartungen für den Sonntag hoch. Erneut wurde auf vier Bühnen ein internationales Programm geboten, das vor allem verschiedene Spielarten gitarrenlastigen Rocks in den Vordergrund rückte. Am Ende waren fast alle traurig, dass ein enorm abwechslungsreiches Wochenende voller Musik vorbei war.

Die Stimmung war trotz der Hitzeschlacht von Anfang an, kurz nach Mittag, ausgezeichnet. Kein Wunder, denn nach dem Frühschoppen mit den Rock `n` Rollern von King Khan and the Shrines eröffnete die japanischstämmige New Yorkerin Mitski den Tag standesgemäß mit einer elektrisierenden Mischung aus ihrem feinfühligen Songwriting und der eher punkig-rotzigen Spielweise ihres Trios. Wie eine frische Brise fegt die zierliche junge Frau, die im zarten Alter von 26 Jahren schon auf vier erfolgreiche Alben zurückblicken kann, mit ihrer überdimensioniert wirkenden Bassgitarre über die Bühne. Mit den pophistorisch aufgeladenen Worten „Wear Sunscreen“ („Tragt Sonnencreme“) verabschiedet sich Mitski schließlich. Ein weiser Rat, der den Tag über im Gedächtnis bleiben wird wie ihr zunächst hinreißend geflüsterter, dann euphorisch ausbrechender Hit „Your Best American Girl“. Kurz darauf sucht so mancher Besucher Schutz im schattigen Palastzelt, wo allerdings die US-amerikanische Band Whitney sichtlich ihre Freude daran hat, den erhitzten Gemütern mit einer schweißtreibenden Show einen gehörigen Strich durch die Rechnung zu machen. Der schwülheiße Siebzigersound des Sextetts aus Chicago sucht in bester Südstaatenmanier nach der ursprünglichen Schnittmenge von Soul, Country und Blues. Im Freien hätte das sicher noch mehr Spaß gemacht. So artet das Konzert in eine etwas stickige Saunaparty aus, über die alle Beteiligten aber herzlich lachen können. Dass Sänger und Frontmann Julien Ehrlich gleichzeitig auch den Schlagzeuger gibt, ist nicht nur ein Kuriosum. Denn wie er mit Stimme und Schlagwerk die ganze Band nach vorne peitscht und im nächsten Moment plötzlich ins Pianissimo herunterholt, ist in Sachen Dynamik und Intensität eine Klasse für sich. Noch extremer wird das Klima anschließend bei den Australiern King Gizzard and the Lizard Wizard im heißen Wüstensand vor der Fackelbühne. Die sengende Nachmittagssonne zwingt zahlreiche Besucher, sich in den schattigen Randbereichen zusammenzurotten, während die hartgesottenen Fans im Zentrum ihrer Ekstase raumgreifend Ausdruck verleihen. Der Sound tut ein Übriges, denn hier spielt eine komplett bis zum Schlagzeug doppelt besetzte Rockband auf, als ginge es um ihr Leben. Mit ihrem ausufernden Hard Rock erinnert die Truppe an Led Zeppelin, mit ihren psychedelischen und progressiven Experimenten eher an Pink Floyd oder gar Yes. So etwas hat man mit Ausnahme von Wolfmother in den letzten Jahren selten gehört, obwohl damit immer noch ein breites Publikum erreicht werden kann. Gegen Abend haben die vielseitig interessierten Besucher dann mal wieder die Qual der Wahl. Wer eine Pause braucht, lässt sich auf der Tribüne des Reitstadions nieder und genießt den delikaten Folkrock des Kanadiers Andy Shauf, der vor allem ein Meister der leisen und ganz leisen Töne ist und sich zwei Klarinetten sowie ein klobiges E-Piano aus den Sechzigern in seiner Band leistet. Der Aufwand lohnt sich, denn die ungewöhnlichen Instrumente kleiden die messerscharf beobachteten Erzählungen seiner nachdenklichen Songs in ein einzigartiges musikalisches Gewand. Immer wieder dröhnt es von der größeren Fackelbühne herüber, wo die Neunziger-Kultband Primal Scream ihre zeitlosen Gassenhauer in ungewohnt rockigen Versionen zum besten gibt. Das passt zur bierseligen Atmosphäre in der immer noch kräftigen Abendsonne und verzückt die Fans der Band. Nach einem langen Tag in der Hitze ist bei vielen Besuchern die Luft am Ende ein bisschen ’raus. Noch vor Sonnenuntergang beginnt das Gelände, sich in Zeitlupe zu leeren. Schade für Slowdive, diese Veteranen der eigenartigen Musikrichtung namens Shoegaze, die ihren selbstironischen Namen dem auf die eigenen Schuhe gerichteten Blick der meisten Gitarristen verdankt. Immerhin ist das Zelt noch über die Hälfte gefüllt, als die Band mit ihren Soundwänden um sich wirft und die Zuhörer mit ihrer akustischen Dichte trotz einem bescheidenen Repertoire von Akkorden fast 90 Minuten lang wegbläst. Genug Zeit, um die Augen zu schließen und das intensive Wochenende noch mal Revue passieren zu lassen. Am Ende darf man dem Team und den vielen freiwilligen Helfern zu einem liebevoll gestalteten und enorm vielfältigen Festival gratulieren, das nicht nur in der Region, sondern auch bundesweit seinesgleichen sucht. Kultur

Shoegaze-Veteranen: Rachel Goswell von der Band Slowdive.
Shoegaze-Veteranen: Rachel Goswell von der Band Slowdive.
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