Ludwigshafen Der Türke und der Nazi

Eine humorvolle Erzählung in wohlgeformten Sätzen: Akin E. Sipal während seiner Lesung im Studio.
Eine humorvolle Erzählung in wohlgeformten Sätzen: Akin E. Sipal während seiner Lesung im Studio.

Von Akin E. Sipal hat das Mannheimer Publikum schon zwei Stücke zu sehen bekommen: „Santa Monica“ und „Kalami Beach“. Nun tritt der junge Dramatiker, in dieser Spielzeit Hausautor des Nationaltheaters, während der Schillertage persönlich mit einer Lesung auf. „Adana liebt Breslau“ ist ein Plädoyer für eine türkisch-deutsche Verständigung anhand der eigenen Familiengeschichte.

Mit Schiller hat Akin Sipals Lesung nur am Rande zu tun. Der Name des deutschen Klassikers fällt lediglich, wenn er erzählt, wie Professor Gerhard Fricke in seinen leidenschaftlichen Vorlesungen über den Dichter pathetischer Dramen die Tränen in die Augen traten. Der Germanist lehrt nach dem Krieg in Istanbul, zuvor war er überzeugter Nationalsozialist und hat die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Göttingen mit einer von pseudopoetischen kitschigen Floskeln nur so triefenden Rede begleitet. In Istanbul lebt er nun Tür an Tür mit jüdischen und sozialdemokratischen Emigranten. Die Türkei hält der Professor aber für aufnahmebereit für deutschen Geist. Doch Fricke hat Heimweh, und Akin Sipals Großvater, einen seiner begabtesten Studenten, will er als seinen Assistenten nach Deutschland mitnehmen und dort zum Professor machen. Der Großvater, 1926 in Adana im Zentrum der Türkei geboren, wächst in bitterer Armut auf. Von seinem Onkel, einem Kleinkriminellen, der mit dem Schriftsteller Orhan Kemal im Gefängnis saß und sich seitdem für Romane begeistert, wird er zum Literaten bestimmt. In Istanbul schafft der Junge aus der Provinz die Aufnahmeprüfung zum Gymnasium und studiert anschließend deutsche Philologie. Lautstark Hölderlin rezitierend, zieht er mit seinen Kommilitonen durch Istanbuls muslimischen Stadtteil Fatih. Frickes Avancen aber entzieht sich der bindungsscheue Mann zunächst dadurch, dass er sich freiwillig zum Militärdienst meldet. Nach dem Ablauf eines zweijährigen Promotionsstipendiums in Deutschland flüchtet er erneut in die Türkei. Inzwischen hat er in der Mensa der Universität Münster allerdings Akin Sipals Großmutter kennengelernt. Die junge Frau studiert Chemie und Biologie, hat wenig Interesse an Literatur und ist ebenfalls ständig auf der Flucht, seitdem sie im Krieg aus Breslau fliehen musste. Lange führt das Paar eine Fernbeziehung, auch das spätere Verhältnis der Eheleute vergleicht der Enkel mit dem zwischen einem Hund und einer Katze. Akin Sipal hat seine Erzählung mit viel Humor gewürzt und in wohlgeformten Sätzen abgefasst. Dass er seinem Großvater, Kamuran Sipal, ein kleines Denkmal setzt, ist ehrenwert, denn der bescheidene Mann scheut die Öffentlichkeit. Ein wenig Stolz schwingt freilich auch mit, wenn der Enkel erwähnt, dass sein Großvater für ein schmales Werk von zwei Romanen und sechs Erzählungen mit dem renommiertesten Literaturpreis der Türkei ausgezeichnet wurde und eine Unzahl Übersetzungen ins Türkische, darunter fast alles von Hesse und Kafka, vorzuweisen hat. Über die Familiengeschichte hinaus interessiert ihn die Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen. „Wenn die Bekanntschaft meines Großvaters mit einem Nazi ein Lebenswerk hervorbringt, das um Kafka kreist, dürfte das kein Problem sein“, meinte Sipal nicht ohne Humor.

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