Ludwigshafen Der Rattenfänger von Fürstenfelde

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Der Roman „Vor dem Fest“ hat Saša Stanišic bekannt gemacht. 2014 wurde er auf der Leipziger Buchmesse mit dem deutschen Buchpreis als bester Roman des Jahres ausgezeichnet. Mit „Fallensteller“, einem neuen Band mit Erzählungen, war der Schriftsteller bosnischer Herkunft nun im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum zu Gast.

Wenn Saša Stanišic seinen Roman „Vor dem Fest“ nicht schon selbst als Hörbuch eingelesen hätte, müsste dem Verlag dies unbedingt nahegelegt werden. Denn nur sehr selten gibt es die Gelegenheit, einen nicht nur guten, sondern derart mitreißenden Interpreten der eigenen Prosa zu erleben wie ihn. Ständig ist Stanišics Körper in Bewegung, während er liest. Ununterbrochen unterstreicht er seine Worte mit Handbewegungen, je nach Stimmung des Textes mit weit ausladenden oder dezent andeutenden Gebärden. Bald hebt er die Stimme, bald dämpft er sie, bald beschleunigt er das Erzähltempo, bald drosselt er es. Seine Lesung grenzt an eine Theateraufführung. Wer den temperamentvollen Schriftsteller einmal erlebt hat, der wird allerdings von dem Hörbuch „Vor dem Fest“ enttäuscht sein. In der sterilen Atmosphäre des Studios und durch die Eingriffe der Regisseurin sei es nicht so lebendig geworden, wie er es sich gewünscht hätte, bedauerte Stanišic in Ludwigshafen. Stattdessen empfahl er seinen Zuhörern im Ernst-Bloch-Zentrum den Livemitschnitt einer Lesung von „Fallensteller“, die er in Hamburg gegeben hat. Und er verriet, dass das Fernsehen an einer Verfilmung des Romans „Vor dem Fest“ arbeite. Es müsse sich nur noch ein ARD-Sender finden, der bereit sei, den Film als sechsteilige Fortsetzungsreihe zu produzieren. „20.15 Uhr, Samstagabend“, wünschte sich der Autor im Scherz für die Ausstrahlung eine Sendezeit, die ein zahlreiches Publikum erreicht. Im Bloch-Zentrum hätten es mehr als die 40 Zuhörer sein können, die gekommen waren, um den Schriftsteller aus der Nähe zu hören und zu sehen. „Vor dem Fest“ spielt in dem fiktiven Dorf Fürstenfelde in der Uckermark und ist bevölkert mit einer nachtblinden Malerin, die bei Nacht Bilder malt, einem Glöckner ohne Glocken und weiterem absonderlichen Personal in einem ebenso witzigen wie raffinierten und sprachlich ausgefeilten Roman. In „Fallensteller“, der längsten der acht Erzählungen in dem gleichnamigen Band, lässt Stanišic nun einige der schrulligen Figuren aus seinem Erfolgsroman wieder aufleben. Der Halbstarke Lada wird zum Erzähler, und in Ullis Garage wird weiterhin Bier ausgeschenkt. In diese Gesellschaft und in das von Wildschweinen, Wölfen und Ratten heimgesuchte Dorf bricht ein rappender Fallensteller mit seiner gereimten Werbebotschaft ein: „Dies wird langen, um die Ratten zu fangen.“ In einer anderen Erzählung, die Stanišic vorstellte, steckt der Justiziar Georg Horvath in einer ähnlichen Krise wie Hugo von Hofmannsthals fiktiver Verfasser im „Brief des Lord Chandos“. Der Leser erlebt den schlecht gelaunten Reisenden, wie er auf einem Flug nach Rio am Sinn sprachlicher Konventionen zweifelt, wenn nicht verzweifelt. Die heitere Geschichte einer Selbstfindung endet im brasilianischen Urwald. An diesem komischen Kauz demonstriere er, was seine Arbeit als Schriftsteller ausmache, legte der Autor im Gespräch mit Anna-Katharina Gisbertz, Germanistikdozentin an der Universität Mannheim, dar: Ringen mit der Bildhaftigkeit der Sprache im Bemühen um präzisen Ausdruck. Im Unterschied zum Protagonisten seiner Erzählung habe er allerdings eingesehen, dass er der Sprache nicht entkommen könne. „Ich will der Sprache auch gar nicht entkommen“, betonte der Autor. In allen Erzählungen gehe es um Fallen und ums Überlisten, um kleine Freiheiten, die sich ein Einzelner erkämpfe, sagte der Autor. Alle Hauptpersonen hätten dabei eine eigene Sprache, jede Geschichte ein eigenes Kolorit. Und in jeder spiele ein Tier eine Rolle. Diese Vielfalt und zerbrechliche Freiheit war der Autor bemüht, schon auf dem Buchumschlag zum Ausdruck zu bringen. Ihn schmückt eine Libelle mit bunten Flügeln.

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