Kreis Germersheim Zugfahren will gelernt sein

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Schon ihr ganzes Leben wollte Elena Kolb nach Indien. Nach dem Abitur in Kandel ist es so weit: Seit August 2016 leistet sie einen elfmonatigen Freiwilligendienst in Mankundu, West Bengalen, Indien. In ihrem Blog und für die RHEINPFALZ berichtet sie von ihren Erfahrungen auf dem indischen Subkontinent, stets mit einem kritischen Blick auf ihre Position als Westeuropäerin.

Ungefähr 15 Frauen starren mich empört an. Verzweifelt versuchen wir uns auf Bengali zu verständigen. „Ich steige in Mankundu aus“, kann ich mit meinen begrenzten Sprachkenntnissen schon ausdrücken. Als ich endlich erkenne, was die Frauen mir erwidern, ist es eigentlich schon zu spät. Der Lokalzug in dem wir uns befinden, hat den nächsten Bahnhof fast erreicht. Und ich stehe im Weg. Mit meinem dicken Rucksack blockiere ich den Ausgang. Schon droht mich die Flut herausdrängender Frauen mit auf den Bahnsteig zu reißen, unmittelbar darauf drückt mich eine neue Gruppe Frauen zurück in das „Ladies Compartment“. „Immer dieses Ausländer,“ murmelt eine der Damen ihrer Begleiterin zu, als sie sich an mir vorbei schiebt. Ich laufe ein bisschen rot an, aber so ganz nachvollziehen kann ich diese Aussage dann doch nicht. Eigentlich fühle ich mich mit meinen Mitfreiwilligen als Ausländer ziemlich einzigartig in Mankundu und Umgebung. Am Bahnhof und in Zügen verbringe ich ganz schön viel Zeit. Sechsmal die Woche fahre ich morgens etwa 10 Minuten mit dem Zug nach Baidyabati, ein kleines finanziell benachteiligtes Stadtviertel, wo vor der Schule eine Art Nachhilfe stattfindet. Als Freiwillige bei der kleinen Nicht-Regierungs-Organisation Human Wave, ist es eine meiner Hauptaufgaben, Kindern im Alter von 4 bis 10 in Englisch zu helfen. Mit zwei bengalischen Lehrern sitzen wir locker zusammen, ich übe mit den Kindern Lesen, Buchstabieren und wir spielen häufig gemeinsam. Das Ziel ist es auch, die Freude an der Sprache zu wecken. Die Kommunikation in meinem Tutorial ist noch ganz schön schwierig. Also war die Entscheidung, elf Monate in Indien zu bleiben, wohl durchaus sinnvoll. Sonst würde sich der Bengali-Unterricht, den wir fast täglich von zwei Lehrerinnen aus dem Projekt bekommen, ja gar nicht lohnen. Ich hoffe, meine Sprachkenntnisse verbessern sich irgendwann soweit, dass ich mich mit den Familien der Kinder aus dem Tutorial unterhalten kann und sie mir ihre Geschichte erzählen können. Wenn ich von meinem jetzigen oberflächlichen Eindruck ausgehe und davon schreiben würde, dass die Kinder hier arm aber glücklich, mit weniger zufriedener sind als wir in Europa, legitimiere ich damit nicht nur weiter das bestehende globale Arm-Reich-Gefälle? Muss ich ihre Eltern nicht erst noch in deren Muttersprache danach fragen, wie sie selbst die Perspektiven in ihrem Leben sehen? Vielleicht wären sie ja mit mehr materiellem Reichtum oder anderen Formen von Reichtum genauso glücklich? Globale Zusammenhänge, ungerechte Strukturen des Welthandels und kolonialzeitliche Ausbeutung werden hier ganz schön schnell mal eben ausgeblendet und man vergisst, dass einige Menschen (uns inbegriffen) davon profitieren. Das sind Gedanken, die mir meine Entsendeorganisation, der deutsche Zweig Service Civil International, mit auf den Weg gegeben hat und die mir durch den Kopf gehen, wenn ich abends im Zug sitze, der zu dieser Zeit angenehm leer ist, auf dem Heimweg von einer Drawing Class oder weil ich ältere Kinder aus Baidyabati zu einem anderen Tutorial in Mankundu begleitet habe. Mir wird klar, dass es noch so viele Dinge gibt, die ich hier verstehen muss. Aber als allerstes mache ich mich wohl daran, Indisch-Zugfahren zu lernen ... Blog elenakolb.wordpress.com

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