Rheinland-Pfalz Wie Ermittler die Netz-Dealer aufspüren

„Wir sind nicht tot“: Monate nach der Festnahme der Landauer Angeklagten ist bei Facebook noch einmal eine angebliche Botschaft
»Wir sind nicht tot«: Monate nach der Festnahme der Landauer Angeklagten ist bei Facebook noch einmal eine angebliche Botschaft der »Chemical love«-Dealer erschienen.

«Landau.» An die „liebe Staatsanwaltschaft“ geht die Nachricht, die ein Unbekannter am 9. Juni 2015 in ein Internetportal der Berliner Behörden tippt und um 23.55 Uhr abschickt: Die Ermittler sollen sich um die Seite „Chemical love“ kümmern, auf der Kriminelle Drogen ganz ungeniert so feilbieten wie andere Online-Händler Schuhe oder Bücher. Dabei ist erst ein paar Monate zuvor der Anbieter „Shiny flakes“ aufgeflogen, der dieses neue Rauschgift-Vertriebsmodell in Deutschland etabliert und so vier Millionen Euro gescheffelt hatte. Dass nun ein neuer Verkäufer auf den Markt drängt, hätten Ermittler auch ohne den Hinweis an die Staatsanwaltschaft in Berlin bemerkt. In Heilbronn, Dresden und Niederösterreich schnappen Beamte im Spätsommer 2015 Drogenkonsumenten, die verraten, wo sie ihren Stoff bestellt haben. Und schon ein paar Monate vorher ist in Hessen ein 14-Jähriger zur Polizei marschiert, weil die Post für ihn bei seinen Großeltern ein Drogenpaket abgegeben hat. Diese von den Absendern offenbar falsch beschriftete Sendung war am 28. Mai 2015 in Stuttgart abgeschickt worden. In den Südwesten führt die Spur auch, als Beamte aus Hannover den Fall übernehmen und im Oktober zum ersten Mal selbst bei „Chemical love“ bestellen. Wieder schludern die Absender, versehentlich beliefern sie die getarnten Ermittler doppelt und legen so gleich zwei Spuren: Das eine Päckchen verrät, dass es in Karlsruhe aufgegeben wurde. Und das andere kommt aus einer Pforzheimer Postfiliale, in der eine Überwachungskamera hängt. Auf deren Aufnahmen entdecken die Fahnder einen schlanken Mittdreißiger, der gleich mehrere Pakete abliefert. Also ist es der Polizei nun egal, wie gut abgeschirmt die „Chemical love“-Geschäfte im Internet abgewickelt werden. Denn die Ermittler können auf herkömmliche Methoden setzen. Heimlich beobachten sie die Postfiliale. Den Namen ihres Verdächtigen erfahren sie, nachdem er dort am Tresen seinen Ausweis vorzeigen musste. Und am 8. Februar 2016 finden sie heraus, wo der Drogenvorrat dieses Pforzheimers versteckt sein muss. Denn da beobachten sie ihn, als er ins südpfälzische Rülzheim fährt, dort neuen Pakete aus einem Haus holt. In diesem Anwesen wohnt, ordentlich gemeldet, ein Mann mit seiner Frau und zwei Kleinkindern: der Bruder des ersten Verdächtigen. Nun werden die Telefone beider Männer abgehört. Dabei wechseln sie immer wieder ihre unregistrierten Billig-Handys. Doch weil sie das zeitlich versetzt tun, führen die Telefonate mit einem schon bekannten Gerät immer wieder zu einem neuen. Rätselhaft bleibt allerdings, von wem die beiden Internet-Dealer ihre Anweisungen bekommen. Die Ermittler ahnen lediglich, dass der „Chemical love“-Chef im Raum Stuttgart lebt. Aber sie bekommen mit, dass sich der führerscheinlose Boss von seinem Pforzheimer Komplizen im Mietwagen nach Serbien kutschieren lassen will. Ein GPS-Sender verrät den Fahndern am 26. Februar 2016, dass dieses Auto wieder in Richtung Deutschland rollt. Kaum sind die Verdächtigen in Bayern, stoppt sie eine Streife der Bundespolizei: scheinbar eine Routinekontrolle kurz hinter der Grenze, bei der alle Fahrzeuginsassen ihre Ausweise vorzeigen müssen. Doch in Wirklichkeit haben die Fahnder aus Hannover diesen Einsatz sorgfältig eingefädelt. Denn so erfahren sie endlich, wer der Mann ist, den sie in ihren immer dicker werdenden Akten bislang nur „UMP (unbekannte männliche Person) Stuttgart“ nennen. Wenige Wochen später kommt dieser 30-Jährige dann nach Rülzheim, um zusammen mit seinen beiden wichtigsten Komplizen frischen Drogennachschub aus den Niederlanden zu begutachten. Prompt stürmen Polizisten das Haus. Und weil es in der Südpfalz steht, überlassen die niedersächsischen Behörden die Verfahren gegen die drei Haupttäter und weitere Komplizen nun der rheinland-pfälzischen Justiz. Seit März stehen der 30-Jährige und seine beiden Helfer in Landau vor Gericht, angeklagt von der Generalstaatsanwaltschaft in Koblenz. Die hat seit Oktober 2014 eine Zweieinhalb-Stellen-Abteilung für Internet-Kriminalität, die sich landesweit um die wichtigsten einschlägigen Verfahren kümmern soll. 1600 Fälle haben die Spezial-Ermittler nach eigenen Angaben bearbeitet. Sie sagen: Der Drogenhandel verlagert sich immer mehr ins Internet. Wie sie dagegen vorgehen und wo sie an technische Grenzen stoßen, halten die Staatsanwälte möglichst geheim. Schließlich versuchen Anbieter und Besteller, mit immer neuen Kniffen ihre Geschäfte vor Online-Polizisten zu schützen. Dabei haben Fahnder die entscheidenden Spuren zu den Hintermännern von „Shiny flakes“ und „Chemical love“ außerhalb des Netzes gefunden: indem sie den Postweg der Drogenpakete verfolgten. An Grenzen stoßen die Ermittler bei Internet-Verbrechen trotzdem – zum Beispiel, wenn sie ans Geld der Täter wollen. So gehen Ermittler davon aus, dass der „Shiny flakes“-Betreiber einen Teil seiner Drogengewinne vor ihrem Zugriff retten konnte. Denn der Ex-Realschüler mit abgebrochener Kellnerlehre ließ sich in der Internet-Währung Bitcoins entlohnen. Ein in diesem Zahlungssystem gebunkertes Vermögen kann der Staat nicht einfach beschlagnahmen. An die digitalen Konten kommt die Polizei nur, wenn sie die nötigen Passwörter hat. Die fehlen ihr auch für ein „Chemical love“-Depot im Wert von mehreren Hunderttausend Euro. Mit einem beim Hauptangeklagten entdeckten Rechner können die Ermittler derzeit lediglich beobachten, was mit dem Vermögen passiert – und dass sich jemand daran bedient. Offen geblieben ist bisher auch, wer den in grellem Pink leuchtenden Internet-Shop für „Chemical love“ programmierte. Im Landauer Prozess sagte eine Ermittlerin den Richtern: Das tat der Hauptangeklagte vermutlich selbst, schließlich hatte er sich 2011 schon einmal – erfolglos – im legalen Internet-Handel versucht (wir berichteten). Doch Menschen aus dem früheren Umfeld des 30-Jährigen haben der RHEINPFALZ gesagt: Von Computertechnik hatten er und sein damaliger Geschäftspartner wenig Ahnung, dafür engagierten sie externe Dienstleister. Rätselhaft ist auch, was mit der Drogenbestell-Seite passierte, nachdem die Ermittler in Rülzheim zugeschlagen hatten. Denn aus dem Netz verschwunden ist sie erst Wochen nach den Festnahmen. Wer sie abgeschaltet hat, weiß die Staatsanwaltschaft bis heute nicht. Und bei Facebook ist „Chemical love“ auch jetzt noch zu finden. Wer auch immer den Auftritt der Online-Dealer dort kontrolliert, er war noch auf freiem Fuß, als die Landauer Angeklagten schon längst in Untersuchungshaft saßen. Denn er veröffentlichte am 21. Oktober noch einmal einen Beitrag. In dem kurzen englischen Text entschuldigte er sich für Lieferprobleme, gestand „geringfügige Probleme“ mit den Behörden ein und beteuerte: „Wir sind nicht tot, bleibt empfangsbereit für neue Informationen.“ Dieses Versprechen könnte jener geheimnisvolle Unbekannte gegeben haben, von dem der in Landau als mutmaßlicher Bandenchef eingestufte 30-Jährige Anweisungen bekommen haben will. Doch die Ermittler glauben, dass ihr Hauptangeklagter den mysteriösen Oberboss erfunden hat, um sich zu entlasten. Und daran ändert auch der Facebook-Eintrag nichts. Die Ankläger meinen: Da ist den Online-Dealern nur widerfahren, was auch vielen anderen Menschen im Netz passiert – ein Trittbrettfahrer hat sich ihre Identität geklaut.

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