Kultur Südpfalz Wahre Werte und Gefühle

In Leder: Alina Möhlmann in der Rolle der „Geierwally“.
In Leder: Alina Möhlmann in der Rolle der »Geierwally«.

Kein Wunder, dass der Applaus für die Aufführung der „Geierwally“ nach der Premiere nicht enden wollte. Es war ein gelungener Auftritt des Theaters Szenario beim Herxheimer Chawwerusch-Ensemble.

Die Geierwally? Wer soll denn das sein? Junge Leute kennen den Heimatfilm aus den 50er-Jahren gar nicht mehr. Und wenn sie dann in Wikipedia die haarsträubende Handlung dieses Familien-, Beziehungs-, Emanzipationsdramas nachlesen und sich die Handelnden in ihren Trachten und Krachledernen vorstellen, verdrehen sie leicht genervt die Augen, genau so wie Alina Möhlmann, die im neuen Szenario die Geierwally spielen soll. Auch die übrigen Rollen kann „Regisseurin“ Johanna Stephan nur wie Sauerbier verteilen. Kenny Henkel akzeptiert nur eine Rolle mit wenig Text und bekommt den Bärenjosef. Hanna Jung ergibt sich Schulter zuckend in die gute Magd Luckard, Maurice Thomas geht wenig begeistert schon mal in Schieflage für den alten Knecht Lorenz, Tia Baumann atmet kräftig durch, um Wallys Vater, dem hartherzigen Höchstwirt, Statur zu geben, Annika Richter will die Figur der Afra wenigstens als Kokette aufhübschen und Y Nhu Nguyen ist noch unsicher, wie sie einen Geier verkörpern soll. Annika Marz findet das alles ätzend langweilig und bleibt nach dem Motto Ist-Mir-Doch-Egal an der bösen Magd hängen. Nur Andreas Jung findet die Rolle des Lorenz toll, weil er sich da als Frauenheld sieht. Später, mitten im Stück, wird er schon merken, wie krass er von der Geierwally abgekanzelt wird. Aber was heißt später im Stück? Wo beginnen die Proben, was ist Aufführung und wann verlässt die Truppe die Vorlage des 1875 von Wilhelmine von Hillern geschriebenen Heimatromans, der 1956 verfilmt und 2007 von Heiner Kondschak in eine Art Volksmusical verwandelt wurde? Szenario-Leiter Ben Hergl und Co-Regisseur Patrick Borchardt haben Kondschaks Musicalversion zur Grundlage ihrer turbulenten, mit vielen eigenen Ideen gespickten Inszenierung genommen. Sie verhelfen der Geierwally knapp 150 Jahre nach dem Tod ihres realen Vorbildes zu einem fulminanten, in die heutige Zeit passenden Comeback. Die geniale Idee, die eigene Szenario-Proben-Situation als Aufhänger und roten Faden des ganzen Stücks zu gestalten und dadurch die Handlung immer wieder durch Brüche mit flachsigem Jetzt-Zeit-Ton zu hinterfragen oder gar zu konterkarieren, sorgt für die nötige Auflockerung und viele Lacher. Trotzdem wird der Geierwally und ihrem absoluten Anspruch, gegen den Willen des Vaters und einer gleichgültigen Gesellschaft sich selbst und ihren Idealen treu zu bleiben und für ihre große Liebe zu kämpfen, nie durch den Kakao gezogen. Ganz im Gegenteil: Die jungen Schauspieler haben die wahren Werte und Gefühle, die in der Handlung stecken und damals wie heute gelten, selbst erspürt und auf ehrliche, emotionale Weise dargelegt – ohne Pathos und gerade deshalb besonders ergreifend werden so große Themen wie Liebe und Hass, Eifersucht und Stolz, Einsamkeit, Glück und Leid verhandelt und zu einem beglückenden Abschluss geführt. Dass diese fulminante Aufführung bei der ganzen Tragweite des Stoffs so kurzweilig war, ist auch dem geradezu luxuriösen Umstand der musikalischen Live-Begleitung zu verdanken. In fast kammermusikalischer Besetzung hat Markus Merz mit seinen Instrumentalisten Patrick Bleimeier, Johanna Hellmann, Jakob Hilse, Darja Kuklinski, Simon Dörzapf und Alexander Zotz einen lautmalerischen Klangteppich für alle Szenen gewebt. Die Opernsängerin und Stimmbildnerin Bettina Baumann hat den mehrstimmigen Chören mit glanzvollem Feinschliff so starke Kontur verliehen, dass jedes Wort – und dadurch jeder Handlungszeitraffer – mühelos verstehbar war.

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