Kultur Südpfalz Sprache als Experimentierfeld

„Plattenbau“: eine Auswahl aus der rund 6000 Schallplatten umfassenden Sammlung des Künstlers Helmut Heißenbüttel.
»Plattenbau«: eine Auswahl aus der rund 6000 Schallplatten umfassenden Sammlung des Künstlers Helmut Heißenbüttel.

Welche Impulse Dichtung und Literatur für die Entwicklung der modernen Kunst gaben und geben, hatte schon die erste Folge der auf sechs Teile angelegten ZKM-Reihe „Poetische Expansionen“ mit Werken von Gerhard Rühm, Nanni Balestrini und Hansjörg Mayer deutlich gemacht. Seit kurzem ist nun der zweite Teil zu sehen, der Helmut Heißenbüttel, Reinhard Döhl und Konrad Balder Schäuffelen gewidmet ist.

Alle drei waren Wortakrobaten, deren Sprachexperimente nicht nur die Literatur bereicherten, sondern auch Vorlagen für Kunstformen wie Typocollagen, Ton- und Bildmontagen, neuartigen Hörspielen und vieles mehr lieferten. Es war die Zeit, als neue Medien wie Video oder Fernsehen aufkamen, die Anfänge des Internets zu verzeichnen waren sowie Objektkunst oder Performances die Kunstszene bereicherten. Eben diese „mediale Revolution“ steht als Generalthema über der Reihe des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM). Der vielseitige Helmut Heißenbüttel (1921-1996) kam 1959 nach Stuttgart, um dann bis 1981 beim damaligen SDR die Redaktion „Radio-Essay“ zu leiten. Das war die Zeit, als sich am Neckar die „Stuttgarter Gruppe“ um den Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Max Bense und andere aufmachte, die Literatur und das Medium Sprache für andere, eben auch neue Medien zu erschließen. Heißenbüttel, der zwischen erfundenem und vorgefundenem Material unterschied und für eine Literatur des Zitats plädierte, setzte sich mit vorhandenen Sprachstrukturen kritisch auseinander, zerlegte sie in kleinste Einheiten (Morpheme) und kombinierte sie wiederum mit anderen. In der Ausstellung sind dafür eindrucksvolle Beispiele parat wie etwa das Gedicht „vokabulär“. Seine Sprachcollagen gelten als wegweisend für neue Kunstformen. Unter dem Titel „schreiben sammeln senden“ geht es aber nicht nur um Gedichte, Erzählungen und Essays aus der Feder von Helmut Heißenbüttel, sondern es ist auch ein „Plattenbau“ aus 275 Schallplattenhüllen zu sehen, der auf seine Sammlung von ungefähr 6000 Alben verweist, ferner zum Hören eine „Sendestation“ mit Beispielen aus dem „Radio-Essay“ des SDR. Ein vielseitiger Künstler war auch Reinhard Döhl (1934-2004), der nicht nur Literaturwissenschaftler war, sondern auch Autor und experimenteller Künstler. 1959 übernahm er eine Germanistikprofessur in Stuttgart, nachdem er zuvor noch wegen vorgeblicher Gotteslästerung in seinem Gedicht „missa profana“ gestanden hatte, aber freigesprochen wurde. Auf den weltweit vernetzten Döhl gingen zahlreiche literarisch-künstlerische Gemeinschaftsprojekte zurück. 1965 schuf er mit „Apfel mit Wurm“ eine Inkunabel konkret-visueller Poesie: Ohne Zwischenraum aneinander gereihte Worte „Apfel“ ergeben das Bild eines Apfels, in dem rechts unten das Wort „Wurm“ versteckt ist. Sein Ausstellungsteil ist mit „Alles ist möglich. Alles ist erlaubt“ überschrieben, Eine These, die auch heute noch keineswegs überall auf Gegenliebe stößt. Mit „sprache ist fuer wahr ein koerper“ ist der Ausstellungsbeitrag zu Konrad Balder Schäuffelen (1929-2012) überschrieben. Der aus Ulm stammende Münchner Psychiater und Psychoanalytiker war auch als freier Schriftsteller und Übersetzer tätig. Schäuffelen beschäftigte sich, die Mehrfachperspektive als Sprachvirtuose, Philosoph und Mediziner nutzend, auch mit anderen Kunstformen wie audiovisuellen Installationen, Performance oder Bildhauerei. In seinen poetischen Texten verarbeitete er segmentierte Texte Dritter und Spruchweisheiten ebenso wie Alltagsdialoge von Zeitgenossen. Es war eine spannende und fruchtbare Zeit. Und von Letzterer muss seitens des Besuchers einiges investiert werden in dieser Ausstellung. Info Bis 22. Oktober im ZKM in Karlsruhe, Lorenzstraße 19. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag/Sonntag 11 bis 18 Uhr. www.zkm.de

Reinhard Doehl: Aus den Botnanger Anagrammen, 1989.
Reinhard Doehl: Aus den Botnanger Anagrammen, 1989.
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