Landau „Otto Hahn ist ein großes Vorbild“

Was haben Sie mit Otto Hahn gemein?

Wie Otto Hahn bin auch ich Wissenschaftler. Aber ich würde es mir nicht anmaßen, mich mit Otto Hahn zu vergleichen. Er war ein großartiger Chemiker und Physiker, der für die Menschheit wichtige Entdeckungen gemacht hat. Er wurde auch in moralischer Hinsicht von Kollegen weltweit hoch geschätzt. Otto Hahn ist ein großes Vorbild. Ihm nachzustreben, ist das Größte, was einen mit ihm verbinden kann. Sie sind beide den Naturwissenschaften verfallen, Zufall vielleicht. Wie wichtig ist denn der Name einer Schule für die Identifikation der Schüler mit ihrer Einrichtung? Zunächst einmal: „Der Wissenschaft verfallen“ gefällt mir nicht so gut. Der Begriff hat so einen kleinen negativen Beigeschmack. Ansonsten bin ich ganz dabei; wir sind beide tief in den Naturwissenschaften drin. Ja, ich denke durchaus, dass der Name einer Schule eine hohe Bedeutung hat. Ich weiß noch, als ich 1971 ans OHG kam, haben viele vom naturwissenschaftlichen Gymnasium gesprochen. So hieß es vorher. Wir Schüler haben nur die Akronyme verwendet – MSG, OHG, ESG. Da hatte der Name nicht so viel Bedeutung, aber im Unterbewusstsein war klar, Hahn ist eine große Persönlichkeit. In der siebten Klasse hatte ich erstmals Physik. Später war Hahn Thema im Unterricht und in den Schulbüchern, da konnte ich mit dem Namen dann auch etwas anfangen. Es gab ja kein Google oder Wikipedia, aber im Unterricht haben wir verstanden, wer er war. Ich finde schon, dass es positiv belegte Menschen sein sollen, die Schulen oder Institutionen den Namen geben. Weil man früher oder später natürlich nachfragt. In Landau wird zurzeit diskutiert, ob das Eduard-Spranger-Gymnasium umbenannt werden soll, weil der Antisemit Spranger mit den Nazis sympathisiert haben soll. Von diesen aktuellen Entwicklungen in Landau weiß ich gar nichts. Ich knüpfe meine nächste Frage dennoch daran an. Otto Hahn ist der Vater der Kernchemie, hat die Spaltung von Uran und Thorium nachgewiesen. Ist das Thema heute positiv besetzt angesichts der aktuellen Bedrohungslage? Die Frage betrifft tatsächlich die ganze Wissenschaft. Aber es ist eine komplett andere Diskussionslage als das eben Angesprochene. Jede wissenschaftliche Entdeckung ist zunächst wertfrei. Und jede Entdeckung kann zum Guten und zum Schlechten benutzt werden. Denken Sie zurück an den Menschen, der das Messer erfunden oder entdeckt hat. Das kann ihm helfen, Nahrung vom Baum abzuschneiden, aber er kann es auch verwenden, um einen anderen zu bedrohen oder gar ums Leben zu bringen. Otto Hahn war sich von Anfang an der Gefahr bewusst. Als er in einem englischen Internierungslager nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa erfahren hat, dass die USA die Atombombe tatsächlich gebaut und auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen haben, da ging es ihm sehr schlecht, und seine Kollegen waren besorgt, dass er sich etwas antun könnte. Die Forschung und Entdeckung von Otto Hahn sind keineswegs negativ zu sehen, das Thema Kernspaltung ist aus physikalischer Sicht neutral. Die Entdeckung erhöht unser Verständnis von Natur, man kann davor auch nicht die Augen verschließen. Die Kernspaltung wird in vielen Ländern, auch in Deutschland, zur Energiegewinnung genutzt. Das birgt ebenfalls gewisse Gefahren. Unsere Regierung hat inzwischen beschlossen, die Kernkraftwerke nach und nach abzubauen, was ich für vernünftig und nachvollziehbar halte. Das ist ein sehr spannendes Thema auch für Diskussionen mit Schülern. Sind die Schulen in den naturwissenschaftlichen Fächern gut genug ausgestattet? Das kann ich nicht wirklich beantworten. Ich komme sehr häufig zu Vorträgen in Schulen und habe generell den Eindruck, dass Schulen nicht mehr besonders gut ausgestattet sind. Weder in den Natur- noch in den Geisteswissenschaften. Wir als Gesellschaft täten gut daran, den Schulen und den Lehrern bessere Möglichkeiten an die Hand zu geben, damit die nächste Generation auch adäquat ausgebildet wird. In den 1990er-Jahren hatte ich den Eindruck, in der Gesellschaft sei Goethe wichtiger als Einstein oder Planck oder Hahn. Das hat sich gelegt. Geistes- und Naturwissenschaften sind wichtig. Was mir etwas Sorge macht, ist, dass in einigen Bundesländern darüber nachgedacht wird, Physik als Fach abzuschaffen und nur noch ein naturwissenschaftliches Über-Fach anzubieten. Das ist keine gute Entwicklung. Es ist schon wichtig, dass Physik von Physikern, Biologie von Biologen und Chemie von Chemikern unterrichtet wird. In einem Gespräch mit der RHEINPFALZ haben Sie einmal erzählt, dass Ihr damaliger Lehrer Hans Stolte Sie für Astronomie interessiert hat. Sie können ja komplexe Sachverhalte mit einfachen Worten beschreiben. Haben Sie auch schon andere für Ihre Passion begeistern können? Ich glaube, dass ich im täglichen Leben im Umgang mit meinen Freunden gar nicht anders sein kann als ich bin. Meine beiden Töchter wollte ich jedenfalls nie für die Physik oder Astronomie begeistern. Es war mal Musik im Raum gestanden, am Ende haben beide Ingenieurwissenschaften studiert. Drei oder vier meiner Doktoranden sind in der Astronomieforschung geblieben, einer ist Professor geworden. Das ist schon auch ein gewisser Erfolg und eine kleine Freude. Wie wichtig sind für einen, der in fernen Galaxien unterwegs ist, die eigenen Wurzeln? Ich denke, dass ich ziemlich gut geerdet bin und sehr verbunden mit der Pfalz, mit Landau, mit Nußdorf. Ich habe da sehr gute Freunde aus meiner Kindergarten- und Jugendzeit, mit denen ich mich nicht sehr häufig treffe, aber doch eine sehr tiefe Verbindung habe. Wenn man in die Wissenschaft strebt, weiß man zunächst natürlich erst einmal gar nicht, ob man es jemals schafft. Und wenn doch, dann ist nicht klar, ob man in Ohio oder Kapstadt, in Melbourne oder in Kiel landet. Ich habe in den USA gearbeitet, in Australien, in München, Potsdam und hatte dann die Chance, nach Heidelberg zu kommen. Das war eine große Freude für mich, einerseits wegen der tollen Universität und Stadt Heidelberg, andererseits wegen der Nähe zu der schönen Pfalz. Ich bin immer ein Pfälzer geblieben. „Vom OHG ins Universum und zurück“ lautet der Titel Ihrer Festansprache am Samstag. Ohne vorab zu viel zu verraten, worum geht’s? Ich werde Bezug nehmen auf meine Schulzeit in Landau am OHG und dann die Ausbildung und den beruflichen Weg eines Wissenschaftlers darstellen. Dann werde ich auch über meine Forschungsgebiete erzählen und beschreiben, was ich tue und mit welchen Ergebnissen. Schließlich möchte ich die beiden Kleinplaneten „Landaupfalz“ und „Nussdorf“ vorstellen und mit meiner Rückkehr zur Festveranstaltung des OHG den Kreis schließen. Der Himmel ist Ihr zweites Zuhause. Glauben Sie an Gott? Viele Menschen denken offensichtlich, dass man als Naturwissenschaftler nicht an Gott glauben kann. Ich sehe da überhaupt keinen Widerspruch, im Gegenteil: Wenn man dieses wunderbare Weltall sieht, wie sich die Planeten um die Sonne drehen, wie die Milchstraße und die Galaxien sich entwickeln, wie wunderbar die Naturgesetze wirken, da muss man doch fast gläubig werden, wenn man es vorher nicht war. Ja, ich bin protestantischer Christ. Ich glaube an Gott. Das sind zwei sehr verschiedene Dimensionen, und ich kann das sehr gut miteinander vereinbaren. Zur Person Der gebürtige Nußdorfer Joachim Wambsganß ist Direktor des Astronomischen Rechen-Instituts im Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg. Der 56-Jährige hat zwei Töchter (25 und 28 Jahre) und ist geschieden. Wissenschaftler sei man rund um die Uhr, antwortet er auf die Frage nach seinen Hobbys. Doch der ehemalige Handballer gesteht, er liebe Opern, vor allem die italienischen. Aber er mag auch Wagner. Aktuell ist immer noch sein Buch aus dem Jahr 2012: „Universum für alle – 70 spannende Fragen und kurzweilige Antworten“, Springer-Verlag, ISBN 978-3-8274-3053-3. | Interview: Sabine Schilling

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