Kreis Germersheim „Mein Indien ist wunderschön“

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Schon ihr ganzes Leben wollte Elena Kolb nach Indien. Nach dem Abitur in Kandel ist es so weit: Seit August 2016 leistet sie einen elfmonatigen Freiwilligendienst in Mankundu, West Bengalen, Indien. In ihrem Blog und für die RHEINPFALZ berichtet sie von ihren Erfahrungen auf dem indischen Subkontinent, stets mit einem kritischen Blick auf ihre Position als Westeuropäerin.

Drei Monate ist es her, dass ich in Frankfurt in das Flugzeug gestiegen bin, das mich auf einen anderen Kontinent, in ein anderes Land, zu mir fremden Menschen, in ein ganz neues Leben gebracht hat. Nach Indien. Von da an habe ich begonnen, mein ganz eigenes Indien kennenzulernen, das ich nicht mehr missen möchte. Jeder muss seine eigene Definition für dieses riesige Land finden. Ich verbinde damit bis jetzt vor allem Mankundu, ich verbinde mit Indien den Hooghly River, der irgendwie auch der Ganges zu sein scheint. Indien bedeutet für mich, auf der Straße Kokosnüsse aufgeschlagen zu bekommen und das Wasser daraus mit einem Strohhalm zu schlürfen. Es bedeutet Zugfahren zu „meinen“ kleinen lieben nervigen anstrengenden zuckersüßen Kindern im Tutorial. Indien ist die überraschte Begeisterung, die in den Augen der indischen Frauen aufleuchtet, wenn ich mit meinen paar Brocken Bengali verständlich machen kann, dass ich den Zug in Baidyabati verlassen möchte. Es bedeutet, Brotaufstrich machen mit Paula. Und unnötige nötige Diskussionen führen mit Simon. Sonntägliche Ausflüge nach Kolkata. Es bedeutet Verzweiflung in der Drawing Class, wenn eine kleine Schlägerei droht. Es bedeutet als Begrüßung lächelnd den Kopf zu schütteln. Es bedeutet unzählige Mosquitostiche, die mich in den Wahnsinn treiben. Es bedeutet, mich zum ersten Mal in meinem Leben als pünktlichen Menschen wahrzunehmen, weil die indische Unpünktlichkeit einfach nicht zu übertreffen ist. Erfolgreiches Badmintonturnier mit unserer Jugendgruppe. Indische Hochzeit, bei der man wie am Fließband Essen serviert bekommt. Egg-roll, der indische Döner: Ein in Fett gebratenes Fladenbrot, mit Ei und etwas Gemüse belegt, von dem ich einfach nicht genug bekommen kann. Indien bedeutet, das englische Alphabet 9012830-mal zu üben und am Ende frustriert sein, weil Asmira immer noch kein „T“ erkennt. Indien bedeutet grenzenloses Glück, wenn eine Schar Kinder schreiend auf mich zu rennt, mich an den Händen fasst, zum Tutorial zieht und das Memory Game fordert (schon wieder). Indien bedeutet nachdenken – über das Warum und den Sinn. Indien ist Langeweile, im Bett liegen und lesen. Indien ist Vorfreude auf bevorstehende Aktionen und Stress, weil noch kein Programm für das nächste Youth Induction Programm vorliegt. Indien ist Ratnas leckerstes Essen, das wir schon vermissen, wenn wir auch nur einen Tag außer Haus sind. Indien bedeutet Mischti: Süßigkeiten mit Überdosis Zucker. Es ist Tunka, mein Gastbruder, mit dem ich über die Vor- und Nachteile von Samsung und Apple diskutiere. Es ist meine Gastschwester Mimi, die nächstes Jahr ein Baby bekommt und immer wieder lustige Geschichten erzählt, die sie mit Vorfreiwilligen erlebt hat. Es ist die Freude, die ich empfinde, wenn indische Kinder sich für den Kartoffeldruck begeistern lassen. Indien ist Sehnsucht nach Brot und Gouda. Indien ist Papaya, Ananas, Granatapfel, Ingwer und Guaven auf der Straße kaufen. Indien ist das Gefühl, sich in Englisch und erst recht nicht in Bengali wie in Deutsch ausdrücken zu können und damit nie ganz man selbst sein zu können. Indien ist Verstehen und Erkennen von Zusammenhängen. Indien ist der Hass auf Plastik. Indien ist Angst vor deutscher Unwissenheit. Indien ist vermissen. Vermissen von Familie und Freunden. Vermissen – sich auszukennen. Vermissen – ausgelastet zu sein. Vermissen – Schüler zu sein. Vermissen – die deutsche Auffassung von Wochenende. Indien ist Spontanität und Kreativität. Faulheit und Energie. Indien ist gar nicht mehr so heiß, aber alle Reden mit Furcht von dem Sommer, der da leider kommen muss. Indien ist billig. Indien ist Scham, dass man so viel Geld hat. Indien ist voller Straßenköter. Indien ist unglaublich interessiert an weißen Ausländern, vor allem wenn diese so riesig sind und auch noch blonde Haare haben. Indien ist für mich Respekt vor dem Mann, der die Seele und der Motor von Human Wave ist. Vor Tapas, meinem Gastvater, der Unglaubliches leistet und trotzdem immer wieder Zeit findet, mit uns Freiwilligen über Gott und die Welt zu philosophieren. Mein Indien ist noch so viel mehr, das ich gar nicht alles aufschreiben kann. Und jeden Tag kommt etwas Neues dazu. Und ich bin ganz schön froh, dass ich noch acht Monate habe, um noch mehr zu lernen. Über mich, über die Welt und über Indien. Denn mein Indien ist wunderschön. Blog elenakolb.wordpress.com

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