Kultur Südpfalz Mediale Abenteuer

Pure Ironie: Rühm-Collage „Stumpfsinn-Marsch“.
Pure Ironie: Rühm-Collage »Stumpfsinn-Marsch«.

Das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe startet seine Reihe „Poetische Expansionen“ mit Werken von Gerhard Rühm, Nanni Balestrini und Hansjörg Meyer.

Man muss sich nicht so weit versteigen wie Hausherr Peter Weibel, der bei der Eröffnung meinte, Gerhard Rühm sei „der größte lebende Dichter Deutschlands“. Aber völlig zu Recht steht der erfreulich rüstige, jetzt 87 Jahre alte gebürtige Wiener am Anfang der neuen ZKM-Reihe „Poetische Expansionen“. Flankiert vom italienischen Geistesverwandten Nanni Balestrini und dem ebenfalls hochpoetischen, lange in Stuttgart tätigen und in London lebenden Drucker und Typographen Hansjörg Mayer. Zunächst einmal ist erstaunlich, was das ZKM bei ja auch nicht unbegrenzten Mitteln in rascher Folge der Öffentlichkeit präsentiert. Mit den „Poetischen Expansionen“ widmet es sich nun jenen künstlerischen Grenzgängern, bei denen fast nahtlos Poesie und Literatur, Bildende Kunst und Musik miteinander verwoben werden. Und Rühm, bis 1996 fast ein Vierteljahrhundert Professor an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste, steht da – hier unter der Widmung „soon.just.now – gerhard rühm als intermediapionier“ zweifellos ganz oben. Er kommt von der Musik, hat in seiner Heimatstadt Klavier und Komposition studiert, beim Zwölftonkomponisten Josef Mathias Hauer Unterricht genommen und früh die Gattungsgrenzen überwunden. Der Verfasser von Lautgedichten und visueller Poesie brachte das Neue Hörspiel und die Akustische Poesie voran, malte und schuf zahllose Grafikblätter, gründete mit H.C. Artmann, Konrad Bayer, Oswald Wiener und anderen die „Wiener Schule“. Seine Neugier lässt auch heute nicht nach. Über Rühms in Jahrzehnten entstandenes Werk bietet das ZKM nun einen in jeder Hinsicht erschöpfenden Überblick. Dass das keine abgehobene Kunst für elitäre Zirkel, sondern eine tiefgehende Beschäftigung mit unserer zerbrechlichen Welt ist, zeigt sich schon daran, dass immer wieder auch subversiver Humor, Ironie und Zweifel aufblitzen. So, wenn auf einem nackten weiblichen Unterleib das Wort „Vergnügen“ zu lesen ist. Oft ist die Frage erlaubt, ob das nun Literatur oder zuvorderst Musik , ein Bild oder doch wieder eher Literatur ist. Oder alles zusammen? Es sollte dann noch etwas Zeit bleiben für Nanni Balestrini und Hansjörg Mayer. Über der Werkschau zu Balestrini (geboren 1935 in Mailand) steht als Motto „Wer das hier liest, braucht sich vor nichts mehr zu fürchten“. Zeit seines Lebens war der Schriftsteller, Redakteur und Herausgeber literarischer Publikationen ein politischer Mensch, der zu den wichtigsten Vertretern der italienischen Nachkriegsavantgarde gezählt wird. Als Unterstützer der Autonomia wurde er der Mitgliedschaft in der Guerilla beschuldigt, floh nach Paris und lebte später in Deutschland, nun in Rom, Paris und auch wieder in Mailand. Er hat sich in Büchern, Collagen, Textmontagen und anderen immer wieder sowohl mit der seinerzeitigen Repression des italienischen Staates als auch – zuletzt im Roman „Sandokan“ – mit dem Geschwür des organisierten Verbrechens beschäftigt. Auch bei ihm verschwimmen Literatur, Journalismus, bildnerische Kunst und Film zu einem außerordentlichen Gesamtwerk. Ohne Hansjörg Mayer (geboren 1943 in Stuttgart, lebt in London), diesen Handpressendrucker und Meister der experimentellen Typographie, hätte es so mancher Künstler oder Autor, voran die der konkreten oder visuellen Poesie, wohl deutlich schwerer gehabt, ein Publikum zu finden. Er hat mit seinen typographischen und drucktechnischen Experimenten das Spektrum des Machbaren immer wieder erweitert. Unter dem Titel „The Smell of Ink“ ist das jetzt im ZKM zu sehen – schönste Verbindungen der Poesie und Typographie. Info Bis 2. Juli (Balestrini, Mayer)/9. Juli (Rühm) im ZKM, Lorenzstraße 19, Karlsruhe. Öffnungszeiten: mittwochs bis freitags 10 bis 18 Uhr, samstags/sonntags 11 bis 18 Uhr.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x