Kreis Germersheim Faktische Schnakenstiche und postfaktische Wissenslücken

Wir leben in einer „postfaktischen Zeit“, trotz vieler gut ausgebildeter Bürger, meinte Volker Wachendörfer von der Deutschen Umweltstiftung. Sie bezahlt das Projekt „Stechmückenbekämpfung in Deutschland, Bewilligungsverfahren, Bewertungsgrundlagen, Handlungsbedarf“. Das Projekt solle die Diskussion um die Einsätze von Insektiziden auf eine fachlich-sachliche Ebene bringen. Die Frage dabei lautet: Werden durch die derzeitige Schnakenbekämpfung mit Bti auch andere Arten gefährdet, insbesondere Zuckmücken, die beispielsweise von Singvögeln gefressen werden? Wachendörfer glaubt offenbar, dass es darauf keine eindeutige Antwort gibt. „Wir müssen auch offen über die Unschärfe unserer Kenntnisse reden“, forderte er. Wie groß diese Unschärfe ist, davon gab als erster Oliver Frör (Universität Landau) einen Eindruck. „Keiner von uns kann abschätzen, wie die Bevölkerung denkt“, sagte er. Dann versucht der Umweltökonom sich als Soziologe und stellte eine Befragung in 10 Gemeinden am Rhein vor. Die sei repräsentativ, sagte er. Davon rückte Frör später ab: Befragt wurden nämlich nur „über 300 meist ältere Leute“, die nach dem Zufallsprinzip im August 2016 auf Supermarktparkplätzen angesprochen wurden. Eine nicht-repräsentative Stichprobe also, die Frör so zusammenfasst: •50 Prozent fühlen sich von Stechmücken stark bis sehr stark belästigt; •90 Prozent ergreifen Schutzmaßnahmen gegen Mücken; •die Befragten fühlen sich vor allem im Außenbereich ihrer Wohnung aber auch beim Wandern, Spazierengehen und Baden belästigt. Vor allem im Innenbereich wird die Belästigung als gering eingestuft; •weniger als die Hälfte befürwortet eine Bekämpfung der Stechmücken in Naturschutzgebieten; •etwa 55 Prozent befürworten eine Finanzierung der Stechmückenbekämpfung durch die Gemeinden; Die Meinung seien insgesamt sehr uneinheitlich, knapp die Hälfte der Befragten befürwortet die Finanzierung der KABS durch die Gemeinden nicht, so Frör. 2017 werde in einer weiteren Befragung die Einschätzung der Bevölkerung zur Stechmückenbekämpfung unter Berücksichtigung der Risiken für Natur und Umwelt erhoben. Nach der Workshop-Planung war mit diesem Vortrag eines der Organisatoren die Meinung der Bevölkerung hinreichend vertreten. Denn eingeladen zur Diskussion waren zwar 21 „Stakeholder“ (englisch „Teilhaber“) – so werden in Moderationsprozessen Personen oder Gruppen bezeichnet, die ein berechtigtes Interesse am Verlauf oder Ergebnis eines Prozesses oder Projektes haben. Als Vertreter der Bürger gehörte dazu im Schnakenbekämpfungs-Workshop nur ein Bürgermeister aus Bayern. Das bemängelte auch der Germersheimer Landrat Fritz Brechtel, der für sich ein Rederecht erstritt und später vehement für die Schnakenbekämpfung eintrat. Zuvor hatten aber die geladene Experten Gelegenheit, Wissenslücken zu offenbaren. So zum Beispiel der Vertreter des Bundesamtes für Naturschutz, Dr. Mathias Otto. Er behauptete, die KABS habe selbst festgestellt, dass Zuckmücken auf Bti zehn Mal empfindlicher reagieren als Schnaken. Falsch, antwortete ihm KABS-Leiter Norbert Becker und zeigte auf einen Aufsatz: Otto habe das falsch verstanden, die Zuckmücke sei zehn Mal weniger empfindlich. Otto schwieg darauf. Aber nicht nur wissenschaftlich wird gestritten. So unterstellte die einzige Zuckmücken-Expertin in Deutschland, die freiberuflich arbeitende Biologin Susanne Michiels, den Forschungsarbeiten der KABS, sie seien überwiegend von Interessengruppen finanziert. Das stimmt wohl nicht. Denn: „Vom Innenministerium Baden-Württemberg, von der Universität Heidelberg“, wandten Zwischenrufer lautstark und unwidersprochen ein. Rätsel gab auch eine Zählung von Singvögeln im Naturschutzgebiet Eich-Gimbsheim nördlich von Worms auf. Das Feuchtgebiet wurde im Zuge von Renaturierungsmaßnahmen geflutet und danach ging die Zahl der Singvögel zurück. Für den Referent war dafür Bti verantwortlich, denn erst nach der Flutung wurden dort Schnaken bekämpft und damit die Nahrungsgrundlage der Vögel geschmälert. „Es ist mir nicht klar geworden, wie das Einbringen von Wasser in ein Feuchtgebiet zum Rückgang von Vogelarten führen kann, die an Feuchtgebiete angepasst sind“, sagte der Wissenschaftler. Nun, anderen Wissenschaftlern und Laien fielen in der Pause eine Menge Gründe ein: Wenn das Wasser allzu hoch steht, wird das Feuchtgebiet zum aquatischen Lebensraum, wenn Wasser dauerhaft steht, werden aus dem Boden Schadstoffe ausgespült und grundsätzlich ist das Aufkommen von Zugvögel ein denkbar schlechter Hinweis. Denn schließlich gibt es auf ihrer Zugstrecke und im Winterquartier jede Menge anderer möglicher Gründe für einen Rückgang: Vom Wetter in Afrika bis zu den Fangnetzen in Italien. Die müssen alle erst einmal ausgeschlossen werden, allein die Zählung und Analyse an einem Ort erscheint da ziemlich wertlos. All das scheinen Detailprobleme zu sein gegen den Punkt, den Alexander Zink vom Regierungspräsidium Karlsruhe anführte: Die Insekten werden seit einigen Jahren immer weniger. In Fallen ist die Masse der gefangenen Tiere um bis zu 80 Prozent zurück gegangen. Verantwortlich dafür gemacht werden Neonicotinoide, Insektenbekämpfungsmittel, die das Nervensystem der Tiere angreifen. Was sagt der Rückgang der Zuckmücken um angeblich 40 oder 50 Prozent vor diesem Hintergrund über den Bti-Einsatz aus? Der gut ausgebildete und informierte Bürger tippt auf: Nichts.

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