Kreis Südliche Weinstraße Distanz suchen zur eigenen Identität

Ein ebenso tiefgründiger wie unterhaltsamer Abend bot sich den Besuchern, die am Dienstagabend die Aula des Alfred-Grosser-Schulzentrums füllten. Der Namensgeber der Schule, Alfred Grosser, war aus Paris gekommen, um Fragen zu seinem neuesten Buch „Le Mensch, die Ethik der Identitäten“ zu beantworten. Die Schüler trugen mit Musikstücken und Schauspiel zum Gelingen des Abends bei.

In „Le Mensch“, seinem 37. Buch, setzt sich der emeritierte Professor für Politikwissenschaften, seit Jahrzehnten Mittler zwischen Deutschen und Franzosen, mit der „Ethik der Identitäten“ auseinander – ein brisantes Thema in Zeiten, in denen Identitäten zum Instrument des Kulturkampfs geworden sind. Die Diskussion um Flüchtlinge, Nationalität, Islam oder Judentum wird vom kategorisierenden Blick „Wir und die“ bestimmt. Doch es gebe keine einfachen Zugehörigkeiten, betont Grosser. „Das Gegenteil von „die“ ist nicht „keiner“, es müsse heißen: Die einen sind so, die anderen anders, schreibt er im Buch. Maya Engel und Lea Stephan waren die beiden Schülerinnen der zwölften Klasse des Gymnasiums, die dem Historiker Fragen stellten. Sein verschmitztes Lächeln ist schon ein Markenzeichen, und die Antworten Grossers waren meist auch mit Persönlichem verbunden. So auch die auf die Frage, was Identitäten seien. „Ich bin ein Mann, das hat heute immer noch gewisse Vorteile, ich bin alt und nicht jung, ich bin Franzose und ein jüdisch Geborener mit dem Christentum geistig verbundener Atheist“, lautete die Antwort des heute 92-Jährigen. Seine Frau sei Katholikin. „Wir leben friedlich miteinander“, so Grosser zur langjährigen Ehe schmunzelnd mit Blick auf seine Frau, die im Publikum saß. Man müsse Distanz nehmen zu seinen eigenen Identitäten, um andere zu verstehen, gab er dem Publikum mit. „Die Religionen bringen nicht allzu viel Frieden, die meisten Opfer von Moslems sind Moslems“, war eine Antwort auf die Frage, ob die IS-Terroristen ihre Identität verloren hätten. „Wenn man sieht, dass Trump Saudi-Arabien lobt, weiß man, wie dumm große Menschen sein können“, äußerte sich Grosser zum kürzlichen Besuch des US-Präsidenten. Wieso er nie in einer Partei gewesen sei? „Aus Feigheit und aus Überzeugung. Wenn man zugehörig ist, muss man sich auch beschränken können, um der eigenen Partei nicht zu schaden“, so Grosser. Auch glaube er, dass ihm die Studenten, die er als Professor immer versucht habe, moralisch zu beeinflussen, anders zugehört hätten, wenn er in einer Partei gewesen wäre. Eine klare Haltung hat Grosser zu Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Ich habe eine große Bewunderung für sie, die Aufnahme der Flüchtlinge war eine moralische Entscheidung.“ Macron, den neuen Staatschef Frankreichs, habe er von Anfang an unterstützt. „Die soziale Situation in Frankreich ist so, dass der arme Macron viel Arbeit hat, ich weiß nicht, ob es gelingt“, ist die Einschätzung Grossers, der es „furchtbar“ findet, dass so viele Franzosen für Le Pen gestimmt haben. „Viel Grausames gibt es, aber am grausamsten ist der Mensch“, war ein Satz von König Kreon an Antigone aus einem Stück von Sophokles, aus dem die Theater-AG einen Ausschnitt vorführte. Für den Leiter war es ein Abschied, Berthold Blaes geht in den Ruhestand. Plastisch führten die Schüler auch das Karussell der Identitäten vor, das sich um jeden und um die sich jeder dreht. Applaus gab es auch für das Streicherensemble unter der Leitung von Bärbel Rohde, die Jazz-Combo, die Theo Schmidt leitet und die Musical-AG mit den Sängern Sophie Krämer und Luca Liebholz.

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