Kreis Germersheim Bocksprünge, Zigarillodosen und Schulbiotop

Abiturjahrgang 2017: Hannah Rößler.
Abiturjahrgang 2017: Hannah Rößler.

Vor 50 Jahren begann die Geschichte des Gymnasiums in Wörth, neun Jahre später verließen die ersten Schüler mit dem Abitur in der Tasche die Schule. Schüler-Generationen folgten bis heute, die nach acht, neun oder manchmal zehn Jahren ebenfalls ihr Abitur bestanden und ins Leben nach der Schule entlassen wurden. Aus diesen rund 4500 Personen hat RHEINPFALZ-Mitarbeiterin Barbara Eichenlaub – Abiturjahrgang 1985 am Europa-Gymnasium – für jedes Jahrzehnt einen Interview-Partner herausgegriffen.

Zum ersten Abiturjahrgang gehört Andrea Fuhr. Sie lebt heute in Jockgrim, wo sie ihre eigene Apotheke führt. „Die Schulgemeinschaft war ein kleiner, fast familiärer Kreis, eingemietet in den Räumen der Dorschbergschule“, sagte sie beim Festakt zum Schuljubiläum. Sie erinnert sich an Elternabende, die nicht in der Schule, sondern in den Gemeinden des Einzugsgebietes stattfanden, an die Schuljahres-Abschlussfahrten der ersten Jahre, an denen die gesamte Schule, Schüler, Lehrer und Eltern gemeinsam unterwegs waren, mit dem Sonderzug, mit Bussen und Ausflugsschiffen. Der Sportunterricht fand nicht in einer Sporthalle statt, sondern im Klassenzimmer, Umkleideräume oder Duschen gab es nicht. „Allgegenwärtig ist die Geschichte vom Bockspringen: Anlauf im Flur, durch die Tür, über den Bock und dann bitte rechtzeitig vor der gegenüberliegenden Wand abbremsen.“ Der Umzug 1970 war ein Großereignis: Am letzten Schultag marschierten alle Schüler im Gänsemarsch, jeder mit seinem Stuhl, ins neue Haus. Fuhr gehörte zur S-Klasse, wodurch sie nach nur acht Jahren das Abitur, zusammen mit dem ersten Schuljahrgang am Gymnasium, ablegen konnte. Sie erlebte die neue Mainzer Studienstufe (MSS), die ihrer Generation in Wörth „wirklich große Wahlmöglichkeiten bot“. Als 1976 der erste Jahrgang seine Abiturzeugnisse erhielt, war aus der kleinen Schule ein riesiger Betrieb geworden. Doch in dem relativ kleinen Kreis von 90 Abiturienten haben Freundschaften gehalten oder wurden bei Treffen nach der Schulzeit neu geschlossen. „Auch der Kontakt zu vielen Lehrern ist nicht abgerissen.“ Markus Voigt, der aus Wörth stammt und seit 23 Jahren in Berlin lebt und arbeitet, gehört zum Abiturjahrgang 1985. Er studierte nach der Schule Bauingenieurwesen, sieht sich heute aber mehr als Unternehmer, als Manager in vielen Bereichen. Vor sechs Jahren wurde er zum jüngsten Präsidenten des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller ernannt, ein ehrenamtliches Engagement, das er mit viel Leidenschaft ausfüllt. Er erinnert sich gerne an seine Kindheit und Schulzeit in Wörth. „Unsere Lehrer haben uns eine hohe soziale Kompetenz vermittelt“, die ihm im Leben viel geholfen habe. Er habe gelernt, effizient zu lernen, ganzheitlich zu denken. An manche seiner Lehrer kann sich Voigt lebhaft erinnern, wie an einen Mathelehrer aus der Unterstufe. „Es war Herr Brauner, der später Schulleiter in Landau wurde. Er schätzte mich schon damals richtig ein, sah mich eher als Netzwerker, was ich heute tatsächlich bin.“ Markus Voigt findet es spannend zu sehen, wie sich viele „aus unserem Abijahrgang entwickelt haben. Wir wuchsen ja schließlich in einer wohlbehüteten, ländlichen oder kleinstädtischen Umgebung auf.“ Heute seien viele beruflich sehr erfolgreich und in die Welt hinausgegangen. Für ihn bleibe Wörth auf jeden Fall seine Heimat, in Berlin ist er heute zu Hause. Stephan Jäger ist Abiturient des Jahrgangs 1998. „Vor acht Jahren bin ich als Bereichsleiter der Sparkasse Germersheim-Kandel genau gegenüber meiner alten Schule gelandet“, erzählt der Betriebswirt. Er sieht einen „gewissen Kreislauf“, der sich zwischen seiner Schulzeit und seinen heutigen Aktivitäten geschlossen hat. Er hatte in der Oberstufe als Leistungskurse Biologie, Geschichte und Latein gewählt, Lehrer für Geschichte war Franz Bauer. „Er war mein absoluter Lieblingslehrer, weil er offen, umgänglich und immer fröhlich war.“ Lust auf Natur hatte Jäger schon in der 9. Klasse. „Zusammen mit einigen Schulkameraden, angeleitet von Lehrer Herbert Jäger, verwandelten wir den früheren Raucherhof in ein Biotop. Von der Sparkasse gab es damals Geld für diese Aktion, ich glaube, es waren 4000 Mark“. Der Schüler sammelte Froschlaich am Heilbach und setzte es in den Teich, was den Nachbarn der Schule gar nicht gefiel. „Als vor einiger Zeit das längst aufgegebene Schulbiotop reaktiviert und in ein grünes Klassenzimmer verwandelt wurde, war ich als Vertreter der Sparkasse bei der Einweihung wieder dabei.“ Überhaupt habe er als Kontaktperson in der Bank für Schulen und als Freundeskreismitglied wieder viele Berührungspunkte mit dem Gymnasium. Bei ihm überwiegen positive Erinnerungen an die Schule. Sie habe ihm das Rüstzeug für sein duales Studium vermittelt. An „seine“ Schule zurückgekehrt ist Philippe Decker. Der ehemalige Rheinzaberner bestand 2003 das Abitur, studierte danach in Karlsruhe auf Lehramt. Er denke noch oft an die ’alte Garde’ von seinen Lehrern zurück, die einfühlsam und menschlich ihren Unterricht gestalteten und auf die Schüler eingingen. Spontan fallen ihm Namen wie Freisberg, Mispagel und Becker vom Deutsch-Leistungskurs ein. „Ich erinnere mich noch gut an meinen Lehrer Bersch aus der fünften oder sechsten Klasse. Er rauchte Zigarillos, die er in einer Blechdose mit sich herumtrug.“ Besonders gute Schüler bekamen eine solche – leere – Dose geschenkt, worauf jeder sehr stolz war. „Ich habe leider nie eine bekommen.“ Eine Studienfahrt nach Sorrent wiederholte Decker als Erwachsener mit einem Teil seiner früheren Mitschüler und einigen Lehrern. Den Lehrer Hundler verbindet er mit „Jugend trainiert für Olympia“. An der Aktion nahm Decker als Tennisspieler teil, heute leitet er selbst diese AG. Auch ein Gespräch mit seinem damaligen Direktor Dieter Rößler ist fest im Gedächtnis: „Ich wurde von ihm einbestellt, weil ich in der Pause im Schulhof einen Schneeball geworfen hatte.“ In seiner ruhigen, natürlichen Autorität sprach Rößler mit dem Übeltäter. „Aber eins war mir danach klar, ich werfe nie mehr einen Schneeball im Schulhof!“ Decker, der es heute als Glücksfall empfindet, selbst als Lehrer in Wörth zu unterrichten, meint: „Ich wurde sehr gut auf mein Studium vorbereitet, da wir lernten, Dinge zu hinterfragen.“ Die Enkelin des ersten Schuldirektors, Hannah Rößler, hat im Frühjahr Abitur gemacht. Sie würde gerne studieren, um anschließend in einem medizinischen oder therapeutischen Beruf zu arbeiten. Auf die Frage, ob sie Lieblingslehrer hatte, antwortet sie: „Ja, meine Deutschlehrerin. Es war zu spüren, dass sie ein persönliches Interesse an den Schülern hat“. Sie war verständnisvoll, wenn Schüler mal nicht so motiviert waren. Gleichzeitig hatten die Schüler in keinem anderen Kurs so ein schlechtes Gewissen bei nicht erledigten Hausaufgaben. Gerne erinnert sie sich an Schulfahrten und Kurstreffen. Sie habe nicht nur fremde Kulturen erlebt und Freundschaften geschlossen, wie beim USA-Austausch, sondern lernte außerhalb der Schule Schüler und Lehrer auch von einer anderen Seite kennen. Sie betont, dass ihr in der Schule eigenständiges Denken, Diskutieren und eine eigene Meinung zu vertreten beigebracht wurden. Schade fand sie, dass in ihrem Jahrgang kein Musik-Leistungskurs zustande kam, „gerade wenn ich mir anschaue, was für eine große Rolle die Musik bei der Repräsentation der Schule einnimmt“. Termin Beim Schulfest, morgen, Samstag, ab 12 Uhr richtet der Freundeskreis der Schule einen Ehemaligen-Treff mit einer Foto-Ausstellung durch fünf Jahrzehnte Europa-Gymnasium ein. Es liegen Jahresringe, alte Festschriften und Abizeitungen aus und Schulführungen werden angeboten.

Abiturjahrgang 1998: Stephan Jäger.
Abiturjahrgang 1998: Stephan Jäger.
Abiturjahrgang 2003: Philippe Decker.
Abiturjahrgang 2003: Philippe Decker.
Abiturjahrgang 1976: Andrea Fuhr.
Abiturjahrgang 1976: Andrea Fuhr.
Abiturjahrgang 1985: Markus Voigt
Abiturjahrgang 1985: Markus Voigt
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