Rheinpfalz „Machtfantasien im Schutz einer Gruppe“

Der gewaltsame Zusammenstoß von Jugendlichen mit einem 32-jährigen Mann in der Nacht vor Heiligabend 2016 in der Innenstadt, in dessen Folge der Mann sein Leben verlor, hatte seine Ursache nicht nur in einer Verkettung unglücklicher Umstände. Das wurde vor der Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern noch einmal deutlich.

„Im Laufe des letzten Jahres hatte sich in Kaiserslautern eine Gruppe von Jugendlichen gebildet, die zwar keine feste Struktur hatte, aber ein gemeinsames Ziel: ,Abends ab 19 Uhr gehört die Innenstadt uns. Und wer das nicht glauben mag, der bekommt es eben zu spüren.’“ Mit diesen Worten fasste vor Gericht ein Vertreter der Jugendgerichtshilfe die Situation zusammen, mit der sich Jugendhelfer, Sozialarbeiter und die Polizei spätestens im Herbst 2016 konfrontiert sahen. Die Situation führte zu einer Auseinandersetzung in der Nacht zum 24. Dezember, bei der ein Passant in der Nähe des Altenhofs dermaßen zusammengeschlagen wurde, dass er später an den Folgen einer schweren Kopfverletzung starb. Zwei Jugendliche im Alter von 15 und 18 Jahren wurden unmittelbar nach der Tat festgenommen und in Untersuchungshaft gesetzt. Gegen die beiden verhandelt seit Mitte Juni die Große Strafkammer des Landgerichts wegen fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge. Noch immer ist das Interesse der Öffentlichkeit außerordentlich groß. Auch am sechsten Verhandlungstag war der Zuschauerraum des Großen Verhandlungssaals im Justizzentrum gut gefüllt. Gruppen von Jugendlichen, aber auch viele ältere Zuschauer verfolgen den Prozess, in dem es offenbar um mehr als das gewaltsame Ende eines Menschenlebens geht. Zum Beispiel um die Frage, ob Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen für eine solche Gewalttat in vollem Umfang gerade stehen müssen. Oder ob es gewissermaßen einen „humanitären Straf-Rabatt“ dafür geben sollte, wenn ein Junge seit frühester Kindheit in einer unvollständigen Familie lebt, immer wieder zwischen Mutter, Großmutter und öffentlicher Jugendhilfe hin und her pendelt, bis er vollkommen aus dem Ruder läuft und sich einer gewalttätigen Gang anschließt. Ist solch ein 15-Jähriger ein Fall für die Jugendstrafanstalt, um ihn mit der ganzen Strenge des Gesetzes zu erziehen? Soll auch sein 18-jähriger Kumpel, der bei der Auseinandersetzung mit dem Passanten den vielleicht noch härteren Schlag geführt hat, dafür mit einer deutlichen Haftstrafe büßen? Oder soll ihnen, die beide bereits früher durch gewaltsame Ausfälle mit der Justiz zu tun hatten, auch nach einer solchen Tat noch einmal die Chance auf Einsicht und Reifung gegeben werden? Haben nicht vielmehr sowohl die Angehörigen des Opfers als auch die Gesellschaft einen Anspruch auf Sühne und Schutz vor solchen Straftätern? Die Vertreter der Jugendgerichtshilfe berichteten, dass sie nach intensiven Gesprächen mit dem Jüngeren der beiden Täter vor einer „ sehr verschlossenen Person stehen, die sich fast jedem echten Gespräch verweigert hat“. Der Ältere sei dagegen „ein eher ruhiger Typ, der seine Beteiligung an der Tat bedauert“. Ähnliche Diagnosen kamen auch vom psychiatrischen Gutachter. Zumindest der 15-Jährige zeige „die Merkmale einer dissozialen Persönlichkeit“, sei kaum zur Empathie fähig und ergehe sich „in den Machtfantasien im Schutz einer Gruppe“. Fazit des Psychiaters: „Auch wenn diese Merkmale ihre Ursachen in einer Kindheit unter schwierigsten Bedingungen haben, ändert das nichts an seiner Verantwortung für die Straftat. Auch andere Menschen stammen schließlich aus prekären Verhältnissen, ohne sich strafbar zu machen.“ Der Prozess wird am Montag um 9 Uhr mit den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigern fortgesetzt.

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