Donnersbergkreis „Wie Schach auf der Matte“

Unterricht vor dem Nachwuchs: Frank Schneider (links), Landestrainer des rheinland-pfälzischen Muay Thai Verbands, kassierte zu
Unterricht vor dem Nachwuchs: Frank Schneider (links), Landestrainer des rheinland-pfälzischen Muay Thai Verbands, kassierte zu Anschauungszwecken auch den ein oder anderen Hieb eines jugendlichen Kämpfers.

«Börrstadt.» „Tschhh!“ Immer und immer wieder. Bei jedem Ellbogencheck, bei jedem Tritt, vorgestoßen durch den dicken Mundschutz, der das Gebiss umklammert. „Tschhh!“ Arthur (13) hält die Deckung hoch. Fäuste vors Gesicht, fokussierter Blick. Er tippelt auf seinen nackten Zehenspitzen vom einen auf den andern Fuß, die Knöchel sind umbunden, beide Schienbeine üppig gepolstert. Dann teilt Arthur aus. Der Fuß schnellt Richtung Rippen des Gegenübers. Block. Arthur setzt noch einen Hieb auf den Arm nach. Wieder Block. „Kick. Gegenkick. Fangen. Zur Seite wegreißen“, ruft Trainer Frank Schneider, als er mit seinem Musterschüler – Arthur Lier gehört im Thai-Boxen, auch Muay Thai genannt, zur Welt-Elite seines Alters – die Übungen vorführt. „Drills“ heißen die und sind so etwas wie die gängigen Standardkombinationen. Angriffe, Konter, Gegenkonter. Was im Kampf Punkte gibt. Schneider geht im Kreis, zu den knapp 70 Schützlingen gewandt, die um die Kampfmatte sitzen. Der Südpfälzer, Landestrainer des rheinland-pfälzischen Verbands, hat an diesem Samstagmittag in der Börrstadter Gemeindehalle ein straffes Programm vor sich. Zu dem gehört auch, mal Schläge eines 13-Jährigen zu kassieren – zu Anschauungszwecken. Den Workshop veranstalten die in Kirchheimbolanden beheimateten Vikings Muay Thai. Sie wollen engagierten Kindern die Kampfkunst näherbringen. „Der Sport ist vielseitig. Man kann verschiedene Ellbogen- und Knietechniken einsetzen“, sagt Arthur. Er und Kollege David zählen hier, trotz ihrer erst 13 Jahre, zu den erfahrensten Kämpfern. Und zu den erfolgreichsten. Je eine WM-Medaille haben sie in der Vitrine, zuletzt traten sie im Mutterland des Thai-Boxens zur Weltmeisterschaft in Bangkok an. „Man muss immer überlegen, was der Gegner gleich vorhat“, beschreibt David die Herausforderung. „Während des Kampfs muss man seine eigene Taktik entwickeln.“ Antizipation nennt Coach Schneider das, vorausschauendes Denken. „Wie Schach auf der Matte“, sagt Marc Wagner. Der 42-Jährige aus Jakobsweiler ist Geschäftsführer des Landesverbands und Vorsitzender der Vikings. In letzterer Funktion hat er das Wochenend-Camp für Kinder und Jugendliche organisiert. Als Vorreiter will Wagner seinen Klub nicht sehen – irgendwie seien alle Kämpfer, Vereine und Sympathisanten ja „eine große Familie“. Egal, ob sie aus Hessen, dem Saarland oder dem Ruhrpott kommen. Gäste aus all diesen Gegenden sind heute hier. Erfolg steht für Wagner nicht an erster Stelle. Im Gegenteil: Das Wort „Wertevermittlung“ fällt an diesem Mittag öfter. Und Schlüsselbegriffe wie Respekt, Erziehung, Anstand. Von einem „Bad-Boy-Image“ ist die Rede, das dem Thai-Boxen fälschlicherweise anhafte, „welches wir aber wegbekommen wollen“, manifestiert Wagner. „Ehre gegenüber dem Gegner ist das Wichtigste. Es geht nicht darum, den anderen so kaputt zu schlagen, dass er nicht mehr aufstehen kann.“ Muay Thai entstammt einer Jahrtausende alten Tradition. Hart ist der Sport, Verletzungen gehören dazu – Fairness jedoch ebenso. Umgangsformen sind das A und O, linkische Techniken wie Kopfstöße, auf liegende Gegner oder in Genitalien schlagen zutiefst verpönt. „Die Kampfkunst fördert ein gesundes Selbstvertrauen“, weiß Julia Wicher, Frauenbeauftragte des Muaythai Bundes Deutschland, die heute auf 13 Mädels blickt. „In bestimmten Situationen kann man so dominant auftreten.“ Zum Beispiel, um einen Streit zu schlichten – nicht ihn vom Zaun zu brechen. „Wir wollen einen Teamspirit vermitteln“, sagt Alexander Dibaba, Präsident des Landesverbands. In Deutschland erfährt Muay Thai einen kleinen Boom. Der Sport erhielt die olympische Anerkennung, in der Pfalz wird er vom Landessportbund gefördert, und Wagner rennen sie in Kirchheimbolanden die Trainingshalle ein. Seit etwa zehn Monaten gibt es seinen Verein Vikings offiziell in der Gasstraße, viele Jugendliche musste er abweisen, weil es an Platz mangelt. Bei der Suche nach einem neuen Trainingsort haben auch soziale Projekte oder Kooperationen mit Schulen wenig gebracht. „Dabei sind Sportvereine, in denen Verhaltensregeln vermittelt werden, ungemein wichtig für eine Gesellschaft“, findet Wagner. Solveigh ist gerade mal elf. Ein zierliches Mädchen mit hüftlangem Zopf. Die Beinschützer sind dicker als ihre Oberschenkel, ihr schwarzes Shirt einen Tick zu weit. Solveigh, Wagners Tochter, ist flink. Side-Step, Richtungswechsel, Kick. In die Hüfte. Sie grinst. Ihre Sparringspartnerin auch, für beide ist es ein Spaß. „Ich kann das Bein nicht richtig greifen“, pustet die Weierhöfer Fünftklässlerin zwischendurch. Die Jungs ihrer Stufe sollten sie besser nicht ärgern, denn wehren kann sie sich. Und das könnte schmerzhaft enden. „In der Grundschule hab’ ich so mal zwei beim Streiten auseinandergehalten“, erinnert sich Solveigh. Genau so, sagt Wagner, sollen die Muay-Thai-Fähigkeiten genutzt werden. Nicht anders.

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