Donnersbergkreis Mit Kaugummi und Sprühreiniger

Mittlerweile dämmerte es. Von einem Schnell-Café gegenüber hatte Dörthe einen guten Blick auf das große Glashaus. In den vergangenen 20 Minuten hatten immer mehr Leute das Gebäude verlassen, die Lichter in den Büroräumen verloschen nach und nach. Als es auch in der vierten Etage komplett dunkel geworden war, schnaufte Dörthe einmal tief durch, trank den letzten Schluck ihres „Java Chip Chocolate Cream Frappuccino semi-skimmed decaf“ und ging über die Straße. Dörthe war perfekt vorbereitet: In ihrer Handtasche hatte sie diverse Utensilien zusammengesammelt, die ihr für ihr Vorhaben nützlich schienen. Sie kramte die kleine Mini-Taschenlampe, die ihr Gisela Nicole-Wassler als Dankeschön für ihren letzten Großeinkauf bei „Gisela’s Wäscheladen“ überreicht hatte, heraus. Da sollte ihr Mann noch einmal sagen, dass ihre Einkäufe „reine Geldverschwendung“ seien. Durch eine Notausgangstür neben dem Haupteingang gelangte sie ins dunkle Treppenhaus. Vier Stockwerke musste sie nun nach oben. Hörbar kurzatmig hielt sie schließlich kurz vor der vierten Etage inne. Dörthe versuchte, um die Ecke zu linsen, doch ein Heizkörper versperrte ihr die Sicht. Sie kramte wieder in der Handtasche und beförderte einen Schminkspiegel zu Tage. Außerdem eine Packung Kaugummis und einen Kugelschreiber. Routiniert kaute sie einige Sekunden auf dem Minzkaugummi herum, bevor sie es mit spitzen Finger aus ihrem Mund auf die Spitze des Kugelschreibers beförderte. Mit einem leichten Druck befestigte sie den Spiegel darauf. Dörthe lächelte stolz. Mac Gyver war ein echter Anfänger gegen sie. Vorsichtig bugsierte sie den Spiegel am Kugelschreiber um die Ecke. Im Spiegelbild konnte sie gegenüber die Eingangstür zur Büro-Etage erkennen. Sie versuchte, die Buchstaben zu entziffern, die in roten Klebebuchstaben auf der Glastür befestigt waren: SNOITCUDORP GNABHSALF... Häh? „Aaaach so“, sagte Dörthe laut und schlug sich sofort selbst auf den Mund. Zu sich selbst flüsterte sie: „Ist ja spiegelverkehrt!“ In Gedanken drehte sie die Buchstaben herum: FlashBangProductions. Sie bewegte den Spiegel etwas nach oben und blickte in die Linse einer Überwachungskamera. Wieder grinste Dörthe überlegen. Selbstverständlich hatte sie auch damit gerechnet. Nicht umsonst war sie seit über 30 Jahren mit einem Hauptkommissar verheiratet. Da kannte frau alle Tricks... Einige Minuten später trat eine ältere Dame in Kittelschürze in den Flur. Auf dem Kopf trug sie ein großes, buntgemustertes Tuch, in der Hand hielt sie einen Putzschwamm und eine Flasche Sprühreiniger. Die offensichtliche Reinigungsfachangestellte mit Migrationshintergrund wackelte auf die Glastür zu, die in die dahinter gelegenen Büroräume führte. Selbstbewusst zog sie am Türgriff. Die Tür war verschlossen. „Mist“, zischte Dörthe unter ihrem Kopftuch. „Dann halt aufs Ganze.“ Sie drückte die Klingel neben der Tür, auf der „Facilities Manager“ stand. „Früher hieß das einfach Hausmeister“, dachte Dörthe noch, als eine Stimme aus dem Lautsprecher krächzte: „Hey, what’s up?“. „Housekeeping“, stotterte Dörthe, der im gleichen Moment bewusst wurde, dass sie ja englisch reden musste. Aus dem Lautsprecher brummte es missmutig, und die Stimme raunzte etwas von „next time not without your key“. Die Tür surrte – und öffnete sich. In Windeseile trat Dörthe ins Innere, von der Linse der Überwachungskamera hinter ihr tropfte dicker weißer Reinigungs-Schaum. In kürzester Zeit hatte sich Dörthe durch die ersten beiden Zimmer gearbeitet. In einem Raum standen nur diverse Monitore und technische Einrichtungen, das zweite Zimmer war bis auf einen riesengroßen Tisch und einige Ledersessel fast leer. Aber im dritten Raum wurde sie fündig: Schon als sie das Zimmer betrat, sah sie im Licht ihrer Taschenlampe große Pläne an der Wand hängen. Sofort erkannte sie die Umrisse des Stadtgebietes von Kirchheimbolanden. Fotos waren aufgepinnt. Dörthe erkannte die Amtsstraße und einige Details von Gullideckeln und Hausfassaden. Auf einer Karte entdeckte sie eine große, rote Markierung. Dörthe trat dicht an den Plan heran. Ein Wort war mehrfach unterstrichen: St Paul’s Cathedral. (Illustration: Herrmann) Fortsetzung folgt Ist das Ehepaar Weichmeier einer international operierenden Verbrecherbande auf der Spur, oder hat all das vielleicht einen ganz anderen Grund? Mehr erfahren Sie morgen in der nächsten Advents-Krimi-Folge. Alle Teile lesen Sie auf www.rheinpfalz.de/adventskrimi.

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