Donnersbergkreis „Eine erste Anlaufstelle“

Ruprecht Beuter
Ruprecht Beuter

«Rockenhausen.» Am Donnerstag, 19. Oktober, wird um 15 Uhr im Protestantischen Gemeindehaus in der Ringstraße 5 in Rockenhausen ein „Alpha-Treff“ eröffnet. Dort sollen Erwachsene eine Anlaufstelle finden, die Unterstützung beim Lesen, Schreiben und Rechnen, bei Geld- oder Ernährungsfragen suchen. Was das neue Angebot bewirken soll, darüber sprach Ruprecht Beuter von der Evangelischen Arbeitsstelle Bildung und Gesellschaft mit Joerg Schifferstein.

Herr Beuter, ist der „Alpha-Treff“ eine neue Einrichtung zur Alphabetisierung von Erwachsenen?

Ja und Nein. Wir haben verschiedene Sachen am Laufen in Rheinland-Pfalz, aber in der Pfalz ist es die erste Einrichtung ihrer Art. Der Treffpunkt soll vor allem als eine erste Anlaufstelle verstanden werden. Es handelt sich um ein Projekt, das mit EU-Mitteln gefördert wird. Laut Ihrer Mitteilung soll es im Land Rheinland-Pfalz 350.000 Menschen geben, die weder das Lesen noch Schreiben beherrschen, beziehungsweise große Probleme mit beidem haben. Das ist für Außenstehende nur sehr schwer vorstellbar. Aber dennoch eine Tatsache in unserer Gesellschaft. Das hat eine Studie aus dem Jahr 2013 gezeigt. Sieben Millionen Einwohner der Bundesrepublik können beides nicht. Es gibt Menschen, die aus verschiedensten Gründen des Lesens und Schreibens nicht mächtig sind. Wir kennen Fälle von Abiturienten, die zwar in der Lage waren, Texte zu lesen, aber die Inhalte nicht verstanden. Wie schaffen es Betroffene, sich im Alltag, in dem alles auf Text aufbaut, zurechtzufinden? Jeder entwickelt da seine eigenen Methoden, um sich durchzumogeln. Der Klassiker ist sicher: Ich habe meine Brille vergessen. Dann gibt es Leute, die in ständiger Begleitung unterwegs sind, sodass sie selbst nicht lesen müssen. Viele schaffen es, sich jahrelang mitten in der Gesellschaft zu bewegen, ohne aufzufallen. In einem Fall weiß ich, dass ein Betroffener sogar einen Führerschein besaß. Es gibt den Anspruch auf Behörden, Texte vorgelesen zu bekommen, bei Prüfungen mündlich Fragen zu beantworten. Jeder Betroffene hat eine eigene Biografie, oft tragen die Familien ihre Mitglieder mit, manchmal wissen Familienmitglieder aber nicht einmal von der Schwäche ihrer Angehörigen. In Kirchheimbolanden beispielsweise versuchen wir, über die Kinder an die Eltern zu kommen, sofern diese betroffen sind. Gibt es typische Gesellschaftsschichten, in denen Analphabetismus stärker verbreitet ist als in anderen? Sicher spielt es eine Rolle, aus welcher gesellschaftlichen Schicht jemand kommt, ob eventuell ein Migrationshintergrund besteht. Aber es gibt auf der anderen Seite auch Ereignisse, die eine Verweigerungshaltung auslösen, beispielsweise gegenüber der Schule. Wir treffen auch Leute, die selbst etwas geschrieben haben, aber nicht in der Lage sind, das wieder zu lesen, Menschen, die bereits versucht haben, Lesen und Schreiben zu lernen und daran gescheitert sind. Auch Blockaden können Auslöser sein. Deshalb ist der „Alpha-Treff“ nur eine Anlaufstelle, die Vermittlung anbietet. Wir wollen jedem, der zu uns kommt, eine optimale Betreuung zuteilen. Es steht uns ein Stab ausgebildeter Dozenten zur Verfügung, die wir individuell – bis hin zur Einzelbetreuung – vermitteln können. Kernproblem ist wohl die Ansprache: Wer nicht lesen kann, wird beispielsweise durch dieses Interview nie erfahren, dass es Ihr Angebot gibt. Das ist richtig. Unser Angebot lebt von Mund-zu-Mund-Propaganda, von der persönlichen Ansprache aus dem Umfeld der Betroffenen. Wir arbeiten mit der Diakonie zusammen, haben Fernsehbeiträge drehen lassen, um Menschen auf uns aufmerksam zu machen. Nur so funktioniert die Ansprache überhaupt.

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