Donnersbergkreis Appell an die Menschlichkeit

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HARXHEIM. Sie schrie das Publikum an, sie rührte es zu Tränen, und sie hatte einen Appell: Menschlichkeit zeigen. In ihrem Theaterstück „Beshno Az Ney“ spielt Anja Kleinhans ein Flüchtlingsmädchen, das von Syrien nach Deutschland flieht. Doch hier endet die Geschichte nicht. Kleinhans entführt die Zuschauer in eine düstere Zukunft, bis in das Jahr 2049. Es ist eine fiktive Warnung, nicht nur an das Publikum, sondern an alle, was passieren kann, wenn wir so weitermachen wie bisher.

Wie sieht die Zukunft eines Flüchtlingsmädchens aus, das nach Deutschland kommt, in eine angeblich bessere, heilere Welt? Diese Frage hat sich Anja Kleinhans gestellt und in einer Kooperation mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz zu einem Theaterstück umgesetzt, das mit den Klängen der Rohrflöte, genannt Ney, und der Kurzhalslaute Oud, gespielt von Mehmet Ungan, Leiter der Orientalischen Musikakademie Mannheim, untermalt wird. Als die ersten leisen Töne der Flöte durch den kleinen Raum im Harxheimer Rathaus hallen, werden die rund 25 Zuschauer in eine orientalische Umgebung versetzt. Die Melodie ist fremdartig, leicht melancholisch und doch anheimelnd. Auftritt Kleinhans, die sich mit dem Rücken zum Publikum setzt und ein Persisches Gedicht vorliest. „Beshno Az Ney“ – „Hör auf die Rohrflöte“. Dann schlüpft sie in die Rolle eines kleinen Flüchtlingsmädchens, vier Jahre alt. Ihre Mutter tot, ihre Oma erst vom IS verschleppt, dann von der Regierung als IS-Spitzel beschuldigt. Ermordet. Der Vater nimmt sie und ihre zwei Brüder, und die Flucht beginnt. In die Türkei, über viele europäische Grenzen, bis nach Deutschland. Kleinhans spielt so überzeugend und emotionsgeladen, dass das Publikum vom ersten Augenblick an ganz gefesselt ist. Sie schaut den Zuschauern direkt in die Augen, spricht klare, anklagende, beängstigende Worte. Brüllt auf einmal los, das Gesicht zur wütenden Fratze verzerrt, dann die Augen voller Tränen. Das überzeugende Schauspiel und die intime Atmosphäre lassen das Publikum die Geschichte hautnah miterleben. Die Leute zucken zusammen, schauen gebannt auf die Schauspielerin, wischen sich verstohlen Tränen aus den Augen. Kleinhans spielt lebensecht und nahbar, keiner zweifelt auch nur einen Augenblick an ihrer Rolle. Die Flucht der Familie hat sie sich aus persönlichen Erfahrungen von Flüchtlingen, die sie gehört oder im Internet gefunden hat, zusammengebastelt. Jetzt wagt sie den Blick in eine fiktive Zukunft. Was wäre wenn…? Das kleine Mädchen lebt mit ihrem Vater und ihren zwei Brüdern in einer kleinen Unterkunft in Ludwigshafen. Sie gelten als „geduldete Flüchtlinge“, stehen mehrmals kurz vor der Abschiebung. Der Vater will arbeiten, muss aber dafür erst als Flüchtling anerkannt werden, spricht zu wenig deutsch. Heimlich lernt er es und schreibt Jahre später deutsche Lyrik, gewinnt Preise gegen deutsche Lyriker. Trotzdem kommt er mit dem Druck, den traumatischen Erlebnissen nicht klar, wird alkoholabhängig und stirbt 2026 im Alter von 42 Jahren. Der eine Bruder hat sich gut integriert, studiert Medizin, für ihn will das Mädchen weitermachen. Er stirbt mit 23 Jahren an Herzversagen. Der andere Bruder ist fett geworden und säuft jetzt wie der Vater. Das Mädchen säuft auch. „Deutschland war nicht und ist nicht das, was wir uns sehnlichst erhofften“, deklamiert Kleinhans. Das Mädchen will sich umbringen, scheitert. Krankenhaus, Psychiatrie, Suizidgefahr. Kleinhans nutzt als Stilmittel oft unvollständige Sätze, wirft dem Zuschauer nur Satzfetzen hin, so dass Raum für eigene Interpretationen bleibt. Nach zwei Jahren soll sich das Mädchen wieder dem Leben stellen. Einem Leben in einem zerstrittenen, uneinigen und nationalistischen Europa, in dem Deutschland von „zwei Dutzend rechten Splitterparteien“ geführt wird. Für die inzwischen junge Frau geht das Leben aufwärts. Zunächst wird sie als Flüchtling anerkannt, dann bekommt sie sogar den deutschen Pass. In einem orientalischen Konzert, in der die Neyflöte gespielt wird, spürt sie auf einmal wieder Heimatgefühle in sich. Doch was ist Heimat? Das Syrien, wie sie es kannte, sicher nicht mehr. Sie heiratet den Flötenspieler, doch die Fragen bleiben: „Warum entscheiden sich die Menschen nicht für den friedlichen Weg?“ Kleinhans will und kann keine Antwort geben. Das Stück endet mit einem Appell an die Menschlichkeit: „Wir sind zusammen eine einzige wunderbare Kraft. Wir sind zusammen eins.“ Zu den Klängen der Oud fordert sie nach und nach die Gäste im Rathaus auf, sich zu erheben und zu tanzen. In diesem gemeinsamen Tanz endet das Stück, doch das Publikum bleibt tief beeindruckt zurück, wird noch eine Weile über diese aufwühlende Geschichte nachdenken.

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