Kaiserslautern Rumpelstilzchen und die Erdbeersahnestimme

Paaarty! Shantel & Bucovina Club Orkestar rocken den Kammgarn-Club am Freitagabend.
Paaarty! Shantel & Bucovina Club Orkestar rocken den Kammgarn-Club am Freitagabend.

Shantel & Bucovina Club Orkestar am Freitagabend im rappelvollen Cotton Club stellten sich als eines der beeindruckendsten Live-Spektakel heraus, das je in der Kammgarn auf der Bühne agierte. Selten hat eine Band die Besucher so in ihren Bann gezogen. Und auch wer beim dritten Abend des Festivals der Kulturen nicht im Cotton Club war, hatte etwas verpasst. Die in Sierra Leone geborene Mariama wusste ihr Publikum mit ihrer wunderbaren Stimme zu begeistern. Im Gegensatz zu Shantel demonstrierte sie wie es auch leiser geht. Und als Philosophin entpuppte sie sich obendrein.

Gleißendes Licht blendet die Augen. Bässe wummern, das Schlagzeug rummst. Balkan Pop ist beim zweiten Abend des „Festivals der Kulturen“ angesagt. Und schon ist die Tanzfläche vor der Bühne bevölkert. Zu dem Konglomerat aus Offbeat, Dub, Reggae und Balkan-Quetschereien tanzen die jungen Leute vom ersten Takt an wie ein Rudel hungriger Wölfe, rudern mit den Armen, zucken völlig losgelöst mit den Beinen, taumeln im Delirium, hopsen und springen. Die Musik verschwindet im Crossover der Kulturen, Sprachen und Stile. Vergeblich versucht man, die Wurzeln der Tracks zu bestimmen. Aber wer ein offenes Ohr hat, stößt hier auf eine erstaunlich vielfältige Fundgrube. Die Einflüsse sind der traditionellen Musik Südosteuropas zuzurechnen, insbesondere greift sie Elemente der rumänischen, albanischen, griechischen und auch slawischen Musik auf. Shantel legt aber auch besonderes Augenmerk auf den jiddischen Klezmer und die Musik der Sinti und Roma. Getragen wird dieses musikalische Sammelsurium im Wesentlichen von den drei Bläsern. Die entwickeln eine enorm dichte, fetzige und intensive Musik. Drei extrovertierte Musketiere, die sich blind zu verstehen scheinen, und ihr Gebläse geht gleich einer Initialzündung ab wie eine Rakete. Da wird kraftvoll gesemmelt bis die Fetzen fliegen. Die beiden Posaunisten sind so wild und frei, wie dies in den wildesten Zeiten des Free Jazz üblich war, und sie quetschen ihr Horn nach allen dramaturgischen Regeln aus. Novica ist ein Trompeter, der vor allem die hohen Register seines Instruments liebt. Das ergibt einen Sound, der sich in die Gehörgänge fräst. Ein Hochleistungssportler, dessen technische Brillanz überwältigend wirkt. Umwerfend sind seine rasanten Staccati, die er so schnell spielt wie ein Zigeuner-Maestro auf seiner Geige fiedelt. Und so blasen die Drei einen atemlosen Extrem-Funk, der nur eine Richtung kennt: gnadenlos nach vorn. Zudem wachsen aus dem Bass enorme Tonwellen. Verfolgt von einem Schlagzeuger, bei dem wohl die drei Musketiere in die Lehre gegangen sein müssen. So viel Energie setzt er mit seinem Power-Drumming frei. In der Mitte aber der in Reih und Glied sich präsentierenden Achter-Bande steht der Bandleader Shantel, ein kleiner Rumpelstilzchen mit Schirmmütze, jagt über die Saiten seiner Gitarre, jault, verzerrt und röhrt mit rauputzrauer Stimme. Dabei rudert er mit den Armen und animiert ohne Unterlass die tanzenden Derwische. Die werden auch ganz schön gefordert, und manch einem geht langsam die Puste aus, zumal die Mannschaft auf der Bühne ein Tempo vorlegt, das sich in irrwitzige Raserei steigert. Shantel, mit bürgerlichem Namen Stefan Hantel, der 1968 in Mannheim geboren ist, und dessen Großeltern aus der Bukowina kamen, gehört zu den international populärsten Vertretern des Balkan-Pop. Einige seiner Titel waren sogar in dem Film „Alles auf Zucker“ oder dem weltweit erfolgreichen Streifen „Borat“ als Soundtrack zu hören. Im Cotton Club heizte er das Publikum so an, dass es zwei Zugaben herausforderte. Szenenwechsel – das Finale des Festivals am Samstag: Groß und gertenschlank steht Mariama, schwarzer, lederner Minirock, schwarze Strumpfhose, auf der Bühne. Charmant und stolz. Gefühlsmäßig stimmt alles bei ihr. Und es heißt, darauf kommt es an. Ihre selbst geschriebenen Lieder sind geleitet von herrlicher Klarheit, bei der saftige Eruptionen ebenso zu ihrem Recht kommen wie irdische Elegie. Sie sind geprägt von nonchalanter Pflegeleichtigkeit, und damit erobert sie die Herzen des Publikums im Sturm. Sie intoniert und phrasiert punktgenau, zieht die Silben mit und gegen den Takt – und die Gänsehaut ist garantiert. Mit heller, hoher Stimme zelebriert sie „Change With The Seasons“, reißt die Augen dabei weit auf und zeigt eine Reihe blend weißer Zähne. „Ich bin eine rheinische Frohnatur“, verrät sie, „ich bin a echte Gölner“ und überrascht damit das Publikum, während ihre Augen Kugelblitze schlagen. „Es gibt nur ein Jetzt“, bekennt sie, bevor sie „A Little Eternity“ intoniert. „Wir können nur jetzt zusammensein.“ Dabei singt sie mit ihrer biegsamen und geschmeidigen Erdbeersahnestimme einen wunderschönen Legatogesang. Beziehungen und das Jetzt gehörten stets zusammen, meint sie. „Ohne Beziehungen kann man nicht leben. Wir haben im Moment zum Beispiel eine Beziehung miteinander, weil wir einen gemeinsamen Moment miteinander verbringen“, doziert sie, womit sie das Publikum anspricht und intoniert „Moments Like These“, dass man dahinschmelzen könnte, während der Keyboarder Jan Klingenberg mit gläsernen Schwebesounds fingerflink begleitet und Georges Diémé, „mein kraftvoller Begleiter im Hintergrund“, die Congas mit den Händen streichelt. In „Underground“ geht es um Köln. Es komme darauf an, dass man sich begegnet wie man ist, dass man dabei die Maske zuhause lasse, sagt sie, und sie fällt dabei in einen mitreißenden Sirtaki-Rhythmus, der immer schneller und ausgelassener wird. Bevor sie „J’ai deux amours“ (Ich habe zwei Lieben) mit tiefer Schokoladenstimme singt, gibt sie ihren Stammbaumpreis. Und der hat es in sich. „Mein Großvater war Sudetendeutscher und ist in Prag aufgewachsen. Was man nicht unbedingt denkt, wenn man mich sieht“, sagt sie und grinst dabei spitzbübisch. „Meine Großmutter mütterlicherseits hat norwegische und bretonische Wurzeln. Dabei breitet sie die Arme aus wie ein Vogel und tänzelt zu dem angenehmen Reggae-Rhythmus. „Mathilde“ ist eine Hommage an diese französische Großmutter, die sie mit ihrer Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit sehr geprägt habe. Ihr Großvater väterlicherseits hingegen stammt ursprünglich aus Guinea, von wo er wegen des Krieges fliehen musste. Seine Wurzeln liegen in dem Volk der Fulbe, ein ursprünglich nomadisierendes Volk aus Ostafrika, das heute sesshaft geworden ist und das sich auf den Säulen Selbstbeherrschung, Zurückhaltung und Ehrlichkeit sowie Weisheit und Bildung gründet. Ganz zart und sinnlich wird ihre Stimme in „Easy“, dann aber auch wiederum kraftvoll, fast röhrend. Ihre Lieder sind kleine Meisterstücke der Song-Ökonomie, verschweigen uns aber nicht den Temperamentsbolzen, der hinter der Kölnerin, die auch seit sechs Jahren in Paris lebt, steckt. Mit herzlichem Charme verabschiedet sie sich vom Publikum. Das wiederum bedankt sich mit stürmischem Applaus für einen wunderbaren Abend.

Geschichten mit Hintergrund: Sängerin Mariama, nach eigenen Angaben „a waschechte Gölner“, bestritt den Samstagabend.
Geschichten mit Hintergrund: Sängerin Mariama, nach eigenen Angaben »a waschechte Gölner«, bestritt den Samstagabend.
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