Grünstadt „Wollten eine eigene Welt kreieren“

91-95991828.jpg

Mit spektakulären Promi-Interviews und Reportagen wurde der Schweizer Tom Kummer bekannt. Noch bekannter machte ihn der Umstand, dass das Allermeiste erfunden oder von Kollegen kopiert war. Jetzt hat er einen Roman veröffentlicht, der seine eigene Geschichte und die seiner Liebe zu Ehefrau Nina erzählt, die 2014 an Krebs starb. Am Montag liest Kummer in Bobenheim-Roxheim aus „Nina und Tom“. Sonja Weiher sprach mit ihm auf dem Weg zur Leipziger Buchmesse über den Roman und über seine ganz eigene Art Journalismus.

Ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass Sie überhaupt Lust auf ein Interview hatten.

Wieso? Wahrscheinlich werden Sie doch immer das Gleiche gefragt. Stimmt. Aber ich wurde schon lange nicht mehr interviewt. Zuletzt, als 2010 der Film „Bad Boy Kummer“ rauskam. Aber das hatte alles mit meinem Fall zu tun. Jetzt geht es ja um den Roman. So richtig zu trennen ist das ja nicht. Mag sein. Aber fragen Sie mal. Als Journalistin interessiert mich der Fall Kummer mindestens genauso stark wie der Roman. Letztlich fallen den meisten zu Ihrem Namen ja zuallererst gefälschte Promi-Interviews und erfundene Reportagen ein. Haben Sie denn das Buch gelesen? Ansonsten brauchen wir das Interview nicht zu führen. Gut zwei Drittel, weil Ihre Zusage zum Gespräch erst gestern Morgen kam. Reicht das? Das werden wir sehen „Nina und Tom“ ist ein Roman. Statt sich jedoch diesmal tatsächlich der Fiktion zu widmen, schreiben Sie eine deutlich autobiografisch inspirierte Geschichte. Warum? Das Thema waren meine Frau und ich. Es gibt den Begriff „Faction“, den hat schon Truman Capote benutzt. Man wendet reale Begebenheiten an, sucht aber nach einer literarischen Sprache. Eine Synthese aus Facts und Fiktion. Und wie viel Fiktion steckt im Roman? Real sind die Figuren, die Orte und die Geschehnisse. Das Einzige, was es fiktional erscheinen lässt, ist meine Sprache, durch die das Ganze pointiert-authentisch wirkt und einen Sog entwickelt. „Wenn Nina von dem Buch erfährt, bringt sie mich um“, heißt es im letzten Kapitel. Nina wird den Roman eher nicht lesen, aber ihre beiden Söhne. Was werden die tun? Vieles werden sie schon kennen. Wir haben sehr eng zusammengelebt und kaum etwas verheimlicht. Sie werden wahrscheinlich gespannt sein, wenn es gewisse Sex-Szenen gibt, die man wohl erst ab 18 lesen sollte. Die Stellen werde ich vielleicht schwarz überstreichen. Eine „Zeit“-Rezensentin mutmaßt, dass Nina letztlich nur ein Alter Ego von Ihnen selbst sei. Man traut Ihnen also immer noch alles zu. Wir waren uns sicher sehr ähnlich, das stimmt. Wir haben uns das zuerst gegenseitig nicht zugegeben, zum Beispiel, dass wir beide aus der Schweiz, aus der Provinz kommen, dass wir ähnliche Träume hatten, eine eigene Welt kreieren wollten. Im Roman thematisieren Sie Ihre, wie Sie sagen „journalistische Arbeit“ für das Süddeutsche Magazin und ihre Promi-Interviews. Sie sparen das Thema selbst also nicht aus. Es ist vielleicht eine Szene, die auf die Promi-Interviews, wie Sie das nennen, hinweist. Das stimmt nicht. Es gibt immer wieder Bezüge zu Ihrer Arbeit, zum Beispiel bringen Sie Nina einen Schädel von einer SZ-Recherchereise mit, zum Beispiel sind Sie gemeinsam für einige Storys in Südamerika. Das ist ein Teil unseres Lebens. Ich habe ja 15 Jahre lang sogenannten Journalismus betrieben, wir waren gemeinsam auf Reisen, klar. Wieso sagen Sie „sogenannten Journalismus“? Weil ich ja eigentlich nie Journalist war. Das ist ein Missverständnis, ich bin gar nicht dafür qualifiziert. Und das war eigentlich von Anfang an klar, als das Magazin „Tempo“ mir meinen ersten Job angeboten hat. Es gibt auch subtile Bezüge zu Ihrer Arbeit. Etwa, wenn Sie am Frühstückstisch in der Zeitung ein Interview mit Sean Penn lesen. Mit dem haben Sie sich ja selbst angeblich schon vor 20 Jahren über Kierkegaard unterhalten. Das ist ein kleiner, ironischer Hinweis. Es ist schon gewollt, ab und zu auf diese andere Ebene des journalistischen Arbeitens hinzuweisen. Selbstironie, weil man über den Dingen steht? Genießen Sie vielleicht sogar den Ruf als Münchhausen, als „Bad Boy Kummer“? Unterwanderung des Systems stand schon am Anfang meiner Karriere, meines Lebens im Vordergrund. Ich habe ja als Künstler operiert, bevor ich als Schreiber entdeckt wurde. Von daher finde ich es schon spannend, das Wahrheitsmonopol der Medien immer wieder zu durchlöchern. Das hat Spaß gemacht. Das erleben wir gerade im großen Stil, wenn etwa die Trump-Beraterin Kellyanne Conway von „alternativen Fakten“ spricht. Diese Art von Fake hat nichts mit dem zu tun, was in den 80er- und 90er-Jahren den jungen Chefredakteuren vorschwebte: eine Art konzeptioneller Journalismus, ein Spiel mit der Wahrheit als neuer deutscher Journalismus. Was Trump betreibt unter dem Stichwort Fake News ist bösartig. Eine Lüge hängt also davon ab, mit welcher Intention man sie verbreitet? Der Begriff Lüge ist mir zu moralisch, zu eindimensional. Was würden Sie sagen? Alternative Wahrheit? Objektive Wahrheit habe ich immer als einen Mythos empfunden. Ich habe als Autor mit extremer Subjektivität immer meine eigene Welt reflektiert, nicht die Wirklichkeit. Das wurde von meinen Auftraggebern goutiert und gefördert, war mein Kummer-Sound. Die Interviews waren alle Selbstgespräche. Ich habe dabei den Hollywood-Stars, die in den Medien ansonsten sehr langweilig präsentiert wurden, eine Seele geschenkt. Dass meine Chefs das dann in dieser Art und Weise bringen, habe ich nie gedacht. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich meine eigene, vielleicht sogar unterhaltsamere Version unseres Gesprächs veröffentliche? Das ist absolut kein Problem, das wurde auch schon sehr oft getan. Immerhin haben Sie mit mir gesprochen. Das ist schon mal ein guter Anfang. Termin Tom Kummer: „Nina und Tom“, Lesung am Montag, 27. März, 19 Uhr, im Kurpfalztreff Bobenheim-Roxheim. Eintritt zehn Euro.

x