Grünstadt Meisterhaftes Stegreifspiel

Brachte die Orgel zum Strahlen: Otto Maria Krämer.
Brachte die Orgel zum Strahlen: Otto Maria Krämer.

Bemerkenswert viel Interesse – und am Ende hochzufriedenen Applaus – fand ein Orgel-Improvisationskonzert, zu dem Otto Maria Krämer, seines Zeichens Kantor und Organist in Straelen am Niederrhein, am Samstag an die 1991 gebaute Sandtner-Orgel in Eisenbergs katholischer Kirche kam.

Die Kirche war für ein Orgelkonzert recht gut besucht; erfreulich, dass auch Orgelfreunde aus dem Grünstadter und Kirchheimbolander Raum gekommen waren. Eifrig beteiligte sich das Publikum, als es darum ging, dem Organisten Kirchenlieder aus dem katholischen Gesangbuch aufzugeben, über welche er in auf dem Programmblatt vorgegebenen Stilen oder Gattungen improvisieren sollte. Und überaus aufmerksam verfolgte es das Resultat, das Krämer ein großes Maß musikalischer Kombinationsfähigkeit abverlangte. Diese von Krämer gebotene Art des Stegreifspiels ist einerseits mit aller Fragwürdigkeit dessen behaftet, der sich in der Musiksprache vergangener Zeiten ausdrückt. Andererseits ist es ein hochintelligentes Spiel und macht in diesem Fall das Vergnügen, genuin katholische deutsche Kirchenlieder auf eine Art und Weise musikalisch ausgestaltet zu hören, welche in der Tradition fast ausschließlich protestantischen Chorälen zuteil geworden ist. Krämer startet mit einer Phantasie und Fuge, deren musikalisches Material er aus dem Osterlied „Das Grab ist leer“ bilden sollte. Er beginnt vollakkordisch im spätromantischen Stil, türmt harmonisch vielschichtige Akkorde, zwischen denen ganz zögerlich einzelne Motive des Liedes hervortönen. Schließlich ist die erste Phrase der Melodie gefunden, die zweite allerdings erscheint zunächst in diversen Moll-Varianten, bis sie die bekannte Gesangbuchfassung gewinnt und beibehält. Eine durchaus beeindruckende Ouvertüre. Richtig überraschend dann, dass sich ein Teil der Melodie ganz hervorragend als durchaus markantes Fugenthema eignet. Auch diesen Satz spielt Krämer kunstreich durch und führt ihn zu einem sieghaft-triumphalen Auferstehungsfinale. Das älteste lebendige deutschsprachige Kirchenlied, „Christ ist erstanden“, begegnet danach dem hingetupften Akkordwerk der Minimal Music, dann folgt eine siebensätzige Suite im typisch französischen Barockstil. Das reiche Zungenstimmenspektrum der Sandtner-Orgel kommt dem sehr entgegen. Auf den Spuren deutscher Orgeltradition wandelt Otto M. Krämer, als er über das Kirchenlied „Ich will Dich lieben, meine Stärke“ eine im Detail reich ausgestaltete Partita dichtet, also eine Variationsfolge, in welcher die Melodie auf verschiedenste Weise umspielt, verziert, ausgestaltet und verändert wird. Keine Stil-, sondern Charaktervorgaben gibt es beim „Sinfonischen Triptychon“, einem dreiteiligen Stück, dessen Sätze majestätisch, getragen und lebhaft sein sollten. Dazu dienen das „Hagios Theos“ aus der orthodoxen Karfreitagsliturgie, das Lied „Mein schönste Zier“ und für den dritten Satz das deutsche Te Deum „Großer Gott, wir loben dich“. Dieser feierliche Lobgesang erscheint zunächst eingezwängt in dichten, herb brütenden Harmonien, die die Melodie zwar nicht beeinträchtigen, aber in den Hintergrund drängen, bis die Farben der Akkordschläge lichter, heller werden. Das Ende ist fulminant, ohne dass allerdings das Thema triumphierend in den Vordergrund tritt. Das alles ist sehr gekonnt gemacht und erntet hochzufriedenen Applaus. Aber es fehlt doch noch was: Orgelfreund Klaus Jossé (Grünstadt) hatte sich das barocke Lied „Zieh an die Macht“ im Stile Olivier Messiaens gewünscht. Krämer: „Messiaen steht doch gar nicht auf dem Programm. Aber Sie kriegen’s!“ Sollte Krämer dieses Versprechen vergessen haben? Keineswegs, es definiert die Zugabe. Die Aufgabe ist eigentlich unmöglich: Das leuchtende Dur, die punktiert-tänzerische Rhythmik des Liedes passt überhaupt nicht mit der Tonsprache Messiaens, ihren herben Kirchentonarten zusammen. Krämer gelingt es, die Melodie so zu modifizieren, dass sie mit dem Stil Messiaens harmoniert und keineswegs als Fremdkörper erscheint, trotz dieser Verfremdung aber in jedem Moment erkennbar bleibt. Das ist eine beachtliche kombinatorische Leistung. Und das dabei entstehende Tongemälde ist durchaus geeignet, auch anspruchsvolle Hörer zu beeindrucken. Chapeau!

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