Grünstadt Eine legendäre Prozess-Lawine rollt an

Eines der vielen Gebäude, die die Firma Stocké gebaut hat: das Grünstadter Krankenhaus.
Eines der vielen Gebäude, die die Firma Stocké gebaut hat: das Grünstadter Krankenhaus.
Nach dem spektakulären Konkurs des Bau-Riesen im Jahr 1975, der Entlassung von 850 Mitarbeitern und den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Steuerhinterziehung, Betrug und Untreue in Millionenhöhe hatte Walter Stocké die Zeit einer Haftverschonung genutzt und war ins Ausland geflüchtet. Doch lassen die Ermittlungsbehörden nicht locker und ein V-Mann kann Stocké nach einem spektakulären Coup in Straßburg wieder der deutschen Justiz übergeben. Seit 8. November 1978 ist Walter Stocké wieder in Haft.

Er sitzt in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal. Im Juli 1979 wird Anklage gegen den Bauunternehmer erhoben, vorgeworfen werden Betrug, Untreue, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung. Prozessbeginn soll im Herbst sein. Doch noch ist eine Hürde zu überwinden: Denn nach Ansicht von Stocké und seines Pflichtverteidigers soll die Festnahme im Saarland rechtswidrig gewesen sein, da sie aufgrund einer kriminellen Handlung zustande gekommen sei. Wegen Beihilfe zur Freiheitsberaubung und Entführung erstatten Stocké und sein Rechtsbeistand im Sommer 1978 Strafanzeige gegen Mitglieder der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern. In dem Schriftsatz heißt es wörtlich: „Der Angeklagte wurde am 7. November 1978 im Auftrage der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in ein privat angemietetes Flugzeug gelockt und nach Saarbrücken entführt.“ Kein Geschäftspartner, sondern ein V-Mann der Kriminalpolizei habe Stocké veranlasst, den Flug nach Luxemburg anzutreten, wo angeblich ein Deal in Millionenhöhe abgeschlossen werden sollte. Außerdem sei von vornherein geplant gewesen, das die zweimotorige Maschine in Ensheim landet. Da diese Maßnahmen rechtswidrig gewesen seien, habe auch keine Untersuchungshaft verhängt werden können. Zudem hätten die deutschen Behörden die Souveränität des Nachbarlandes Frankreich verletzt. In einer Eilentscheidung stellt das Oberlandesgericht Zweibrücken dagegen fest, dass die Frage der Entführung nicht zu prüfen sei. Denn nach der Menschenrechtskonvention sei eine Haft dann rechtmäßig, wenn in dem Land, in dem die Festnahme erfolgt, ein Haftbefehl vorliege. Und dies sei hier der Fall. Dem Prozess vor der Wirtschaftsstrafkammer in Kaiserslautern gegen Stocké steht nun also nichts mehr im Wege Noch länger – und unabhängig vom Verfahren gegen Stocké am Kaiserslauterer Landgericht – ziehen sich die Prozesse wegen des Vorwurfs der Freiheitsberaubung und Entführung sowie anderer Beschuldigungen gegen Organe der Justiz hin. Stocké und seine Anwälte nutzen alle möglichen (und unmöglichen) rechtlichen Optionen. Mehrmals befassen sich Straf- und Zivilkammern des Oberlandesgerichts Zweibrücken und weitere Gerichte mit dem Fall – auch das Bundesverfassungsgericht wird angerufen. Im Dezember 1989 kommt die Causa Stocké gegen die Bundesrepublik Deutschland zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Aber: Bei keinem der Gerichte hat Stocké Erfolg, seine Klagen werden allesamt zurückgewiesen. Im Urteil der Straßburger Richter, das im März 1991 veröffentlicht wird, heißt es, Stocké habe nicht belegen können, dass die Zusammenarbeit zwischen den Behörden und ihrem Informanten zu „ungesetzlichen Aktivitäten im Ausland“ geführt habe. Einmütig erklären die neun Richter, keinen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention erkennen zu können. Nachzulesen ist die Stellungnahme des Europäischen Gerichtshofs zum Fall Stocké im Netz unter www.freecases.eu/Doc/CourtAct4527758 in englischer und französischer Sprache. Der eigentliche Prozess gegen Walter Stocké vor der Wirtschaftskammer beginnt im Oktober 1979. Das Urteil wird im Februar 1982 verkündet. Die 188 Verhandlungstage und das Urteil stehen im Mittelpunkt unserer nächste Folge im Fall Stocké. (Archivfotos: Leppla/dpa)

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