Frankenthal Zerstückelte Tierleiber

„Die große Erschießung, wer weiß davon“ heißt dieses zwei Meter große Ölbild von Fritz Martinz, das 1976 entstand.
»Die große Erschießung, wer weiß davon« heißt dieses zwei Meter große Ölbild von Fritz Martinz, das 1976 entstand.

Mit der Präsentation des Malers Fritz Martinz im Hofgut Nonnenhof bei Bobenheim-Roxheim hat sich der Rhein-Pfalz-Kreis an ein großes Projekt gewagt: Groß durch die Monumentalität vieler der 30 Ölgemälde – und groß in dem Anspruch, zur Wiederentdeckung des prominenten Malers aus Wien beizutragen, der zu Lebzeiten nur einmal in Deutschland ausgestellt hat.

In den zwei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten Fritz Martinz, Alfred Hrdlicka und Georg Eisler das Wiener Dreigestirn, das mit dem kritischen Realismus seiner figurativen Bildsprache Stellung bezog gegen die prägenden Zeitstile: die Spielarten abstrakter Kunst und den Surrealismus. Während vor allem Hrdlicka sein Ansehen in Deutschland ständig mehrte, zog sich Martinz aus dem Kunstbetrieb zurück. „Er malte wie ein Besessener eigentlich für sich selbst“, sagte seine Tochter Dorothea, die das Werk des 2002 verstorbenen Künstlers verwaltet. „Einen Ausstellungsort wie diesen hätte er sich gewünscht.“ Es ist in der Tat der Ort, der wesentlich die Ausstellung macht. Der ehemalige Schweinestall ist groß genug und von den räumlichen Voraussetzungen her geeignet, Leinwände von um die zwei Meter Seitenlänge vorteilhaft zu präsentieren. Noch wichtiger ist freilich, dass er zum Sujet die einstimmende Atmosphäre liefert. „Tier- und Menschenbilder“ wurde als neutraler Ausstellungstitel gewählt. Was man sieht, sowohl auf den ersten, als auch auf den nachhaltigen Blick, sind gewaltige Fleischmassen in blutigem Rot, in die fahle Hautfarbe untergemischt ist. Im Fokus stehen das Schlachthaus mit einem untrennbaren Gewimmel aus zerstückelten Tierleibern und Schlächtern und die als „Nutztierikonen“ inszenierten Schlachttiere. Es ist ein Thema, das aufrührt, weil es abstoßenden Inhalt mit ungehemmter Farbenlust ausbreitet. Martinz hat orgiastisch krude und brutal gemalt, gewissermaßen kreatürlich wahrhaftig, was im hoch technisierten Betrieb der Gegenwart maschinell und steril verbrämt ist. Fritz Martinz, Jahrgang 1924, war auf die klassischen Sujets Tier und Akt spezialisiert, die der Expressionismus transformiert hatte. Vom Temperament her war er vital und kraftvoll mit einem ausgeprägten Hang zu barocker Üppigkeit. Sujets der Barockmalerei heizt er farblich und gestisch auf: Reiter und muskulöse Pferde (hier mit nur einem Beispiel vertreten), Badende, Jagdszenen, Jagdstillleben. Eine im Barock positive Vitalität münzt er anklagend um – sehr drastisch beispielsweise, wenn er Fleischstücke und abgetrennte Tierschädel zu Stillleben arrangiert. Das älteste „Schlachthaus“ in der Ausstellung, der mittlere Teil eines Triptychons, gehört zu der Serie, die Martinz 1955 nach monatelangen Aufenthalten in den Wiener Schlachthöfen von St. Marx gemalt hat. Das Bild ist figürlich noch realistischer ausgearbeitet als die späteren expressiven Bilder. Seine düstere Tonalität knüpft an den Stil der Neuen Sachlichkeit an. Die sakrale Form des Triptychon betont das zeitkritisch Existenzielle. Ungefähr zeitgleich beschäftigte sich Martinz nämlich mit der Aufarbeitung des Kriegs, der Europa in ein Schlachthaus verwandelt hatte. Nach Unterbrechung durch den Kriegsdienst hatte er sein Kunststudium wieder aufgenommen und 1950 abgeschlossen. Das Thema „Schlachthaus“ mit rot blutenden und fahlen Fleischmassen sollte ihn sein Leben lang begleiten. Wer Mensch und Schlächter, was Tier und Geschlachtetes ist, geht im Gewirr der Formen und der Glut der Farben ineinander über. Was man zu sehen meint, sind Massen von Fleisch und Ströme von Blut, lebendig Gewesenes, das zu toten Objekten wurde; ist ein Exzess von Gewalt und Brutalität. Dass wir das so sehen, liegt natürlich auch am Ort. Der einstige Schweinestall ist zwar sauber, angenehm und architektonisch reizvoll, doch wer denkt nicht unwillkürlich an die armen Schweine, die für den Schlachthof gezüchtet wurden? Veganer braucht man darüber aber nicht zu werden. Man kann in den Bildern auch eine enge Verbindung, ja Austauschbarkeit von Mensch und Tier sehen, die vitale Kreatürlichkeit und Power signalisiert. Vom genregebundenen Tier- und Aktmaler hat sich Fritz Martinz zum expressiven Vollblutmaler emanzipiert, der sich an der Wucht seines Gestaltens berauscht. Noch figurativ und schon gestisch, steht er voll in seiner Zeit. Und, jedenfalls im Nonnenhof, auch in der unseren. Öffnungszeiten Hofgut Nonnenhof in Bobenheim-Roxheim, bis 16. Juli, sonntags 11 bis 17 Uhr.

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