Frankenthal Temporeich ins Chaos

Begeisternde Erfahrung: Zum ersten Mal zeigte das TAW Figurentheater für Erwachsene.
Begeisternde Erfahrung: Zum ersten Mal zeigte das TAW Figurentheater für Erwachsene.

Die vierte Veranstaltung im Rahmen des Festivals „Mehr Liebe“ brachte eine Neuerung ins Theater Alte Werkstatt Frankenthal: Ein Marionettenstück. Carlo Goldonis „Der Diener zweier Herren“, Höhepunkt der Commedia dell’arte, wurde vom Hohenloher Figurentheater aufgeführt mit 80 Zentimeter großen Puppen. Und der Zuschauer, inszeniert war die Komödie für Erwachsene, musste keinerlei Abstriche gegenüber einer Darbietung durch Schauspieler machen. Für die Zuschauer eine ganz neue und begeisternde Erfahrung.

Puppentheater: Oft denkt man da an Kinderstücke, an Kasperletheater, an einfachen Spaß für die Kleinen. Dabei ist Figurentheater seit einigen Jahren im Trend – und weit entfernt von simpler Kleinkindunterhaltung. Zumal auch die Stücke, die auf Kinder gemünzt sind, oft kunst- und einfallsreich inszeniert und mit untergründigem Witz auch durchaus „erwachsenengerecht“ sind, wie viele der vom Kinder- und Jugendbüro organisierten Aufführungen in der Zuckerfabrik belegen. Die meisten der Theatermacher, die dort ihre Kinderstücke aufführen, haben auch Erwachsenenstücke im Repertoire. So auch Johanna und Harald Sperlich, die ihr Hohenloher Figurentheater seit 1974 betreiben und stolz sind auf die eigens aus Lindenholz geschnitzten Puppen – die sind so beweglich konstruiert, dass nicht nur die Bewegungsabläufe der Marionetten flüssig vonstatten gehen, sondern dass auch kleine Gags am Rande möglich sind. Wie dem Diener Truffaldino immer wieder der Hut hochgeht oder wie er mit den Augen rollt, wenn er sich was überlegt; oder wie irgendwann plötzlich ein Dackel über die Bühne strolcht, schwanzwedelnd Trost bei Liebeskummer spendet und im Abgang, was denn sonst, das Beinchen hebt. Harald Sperlich hat Goldonis Verwechslungs- und Turbulenzgeschichte selbst inszeniert, als flotte Geschichte, die temporeich ins Chaos führt: Denn nicht nur gibt sich Beatrice als ihr Bruder aus, der eigentlich schon verstorben ist, auch bietet ihr Diener Truffaldino einem flott daherkommenden jungen Herrn seine Dienste an: „Es gehört mehr Verstand dazu, als ich habe, um das zu tun, was ich sein möchte: Diener zweier Herren!“ Dieser zweite Herr des Truffaldino aber ist, wie es der Zufall will, der Geliebte von Beatrice, auf der Flucht wegen angeblicher Ermordung ihres Bruders. Und das Stück lebt davon, dass alle Welt Beatrice für ihren Bruder hält, und dass sich Beatrice und ihr Florindo nicht begegnen. Was den Diener vor schwer zu bewältigende Aufgaben stellt, etwa, wenn beide gleichzeitig ihr Essen serviert haben wollen. Und was verkompliziert wird durch diverse Briefe, 200 Gulden und zwei Schmuckdosen, die immer wieder an den Falschen geliefert werden. Goldoni hatte mit diesem seinem berühmtesten Lustspiel die freie Form des italienischen Volkstheaters, der Commedia dell’arte, zur klassischen Theaterkomödie geformt: Motive wie die Verwechslung oder den Zusammenprall der unteren mit den höheren Ständen sind dynamisch aufgebaut und dramaturgisch ausbalanciert, was den „Diener zweier Herren“ noch heute zum oft gespielten Stück auf deutschen Bühnen macht. Die Aufführung als Puppentheater wirkt dabei überhaupt nicht befremdlich. Die einst auf ein bäuerliches Publikum abzielenden Stücke der Commedia dell’arte mit ihren stereotypen Charakteren wie dem Arlecchino oder der Colombina bieten sich dafür geradezu an. Und auf jeder Bühne würde ein nachgebautes Venedig künstlich wirken. Dass hier Marionetten agieren, wirkt sich nicht auf die Glaubwürdigkeit der erzählten Geschichte aus. Denn Johanna und Harald Sperlich, die in bescheidenen klassizistischen Kleidern auf der Bühne stets sichtbar sind, spielen hingebungsvoll die Puppengefühle nach, von der schwärmerischen Liebessehnsucht bis zur Eleganz des Degenschwingens. Und sie nehmen die Spielsituation in ihren Witz auf: „Das klappt ja wie am Schnürchen“, lobt Diener Truffaldino seinen ausgeklügelten Plan – und wird an seinen Marionettenfäden hin- und hergeschwungen. TAW-Chef Jürgen Hellmann war gespannt auf das Experiment mit einem Figurentheaterstück. Und überrascht: Eigentlich hätte er durchaus ein jüngeres Publikum erwartet; doch vor allem Seniorinnen und Senioren scheinen an dieser Form interessiert zu sein. Vielleicht wird Hellmann beim nächsten Mal eine frühere Uhrzeit ansetzen – denn wie Märchentheater auch für Erwachsene sein kann, können natürlich auch Kinder eine Erwachseneninszenierung ansehen.

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