Bad Dürkheim Vom Ursprung des Rassismus

Autor Colson Whitehead
Autor Colson Whitehead

Belletristik dominiert im September die Bestsellerlisten der beiden Dürkheimer Buchhandlungen, auf denen etliche Herbstneuerscheinungen zu entdecken sind. Dazu gehört Colson Whiteheads brisanter Roman „Underground Railroad“, der in beiden Läden erfolgreich lief.

Kaum in deutscher Übersetzung erschienen, eroberte sich der Band, der in diesem Jahr in den USA mit dem Pulitzer-Preis und 2016 mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde, auch hierzulande die Leser. Angesichts der anhaltenden Ausschreitungen gegen schwarze Bürger, zuletzt in Charlottesville, erhält der Roman große Aktualität und soll daher hier hervorgehoben werden. Protagonistin ist Cora, deren Großmutter Ajarry von Sklavenjägern gefangen, auf der Überfahrt nach Amerika vergewaltigt und später auf einem Markt in South Carolina wie eine Ware versteigert wurde. Obwohl in der amerikanischen Verfassung die Menschenrecht zu jener Zeit bereits formuliert waren, wurden sie zumindest in den Südstaaten nicht auf Afroamerikaner angewandt. Das muss auch Cora erkennen. Um einer lebenslangen Ausbeutung und Versklavung zu entgehen, fasst sie einen mutigen Entschluss. Als sie von der Underground Railroad erfährt, flieht sie in dieser unterirdischen Eisenbahn nach Norden. Der Romantitel ist sowohl konkret als auch als Metapher zu verstehen und steht symbolhaft für ein geheimes Netzwerk von Weißen, die sich der Mitmenschlichkeit verschrieben hatten und Sklaven zur Flucht in die Nordstaaten verhalfen. In seinem zwischen Realität und Fiktion pendelndem Roman liefert Whitehead Beispiele für barbarische Ausschreitungen gegen Schwarze und stellt einzelnen Kapiteln authentische Steckbriefe geflohener Sklaven voran. Sein Buch entwirft ein erschütterndes Bild der bisher vorwiegend von Weißen geschriebenen Geschichte der Sklaverei und deren bis heute anhaltenden fatalen Folgen. Whitehead, 1969 in New York geboren, kommt aus der afroamerikanischen Mittelschicht. Er studierte an der Harvard University und unterrichtete an verschiedenen amerikanischen Hochschulen. Bisher veröffentlichte er sechs Romane und zahlreiche Essays. Ein ganz anderes gesellschaftliches Porträt liefert Ulla Hahn mit ihrem soeben erschienenen Roman „Wir werden erwartet“, der hier ebenfalls beleuchtet werden soll. Es ist der letzte Teil ihrer Tetralogie, deren Protagonistin Hilla Palm, Hahns Alter Ego, ist. In den drei Vorabbänden schildert die 1946 im sauerländischen Brachthausen geborene Schriftstellerin Hillas Versuche, die Enge ihres Heimatdorfs ebenso wie das von ihrem autoritären Vater dominierte Elternhaus hinter sich zu lassen und kleinbürgerliche Tabus zu durchbrechen. In diesem vierten Band ist die in Köln studierende Hilla im politisch brisanten Jahr 1968 angekommen. Die Welt betrachtet sie derzeit vorwiegend aus der Perspektive ihres Liebhabers Hugo. Gemeinsam erleben sie die Politisierung und Polarisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die Auswirkungen des Vietnamkriegs und den Generationenkonflikt. Als Hugo bei einem Autounfall stirbt, beginnt für sie eine bedrückende Zeit. Um sich selbst zu retten, beschließt sie, mit ihrem bisherigen Leben zu brechen. In Hamburg verfasst sie ihre Dissertation und sucht nach einem neuen Sinn. Sie entdeckt kommunistische Ideen und entscheidet sich für den Beitritt in die linke Partei. Zu den Gründen gehören zum einen ihre Herkunft und zum andere die Geschichte der Partei, in der sich noch immer viele Verfolgte des Nazi-Regimes befinden. Mit diesem letzten Teil ihrer Tetralogie versucht Hahn, eine Antwort auf die Frage zu geben, was sie selbst einst veranlasste, in die DKP einzutreten. Spannend verdeutlicht sie den weiteren Gesinnungswandel der Protagonistin, die nach einer Reise in die DDR ernüchtert die Konsequenz zieht und diese Partei verlässt, um schließlich Schriftstellerin zu werden. „Wir werden erwartet“ kann als Entwicklungsroman gelesen werden und ist zugleich ein Zeitdokument, in dem Fiktion und Dokumentation eng verknüpft sind.

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