Rheinpfalz Patent aufs Himmelreich

Der Weinstraßen-Erlebnistag stand gestern unter dem Motto „Himmlische Pfalz“. Knapp 200 000 Radler nutzten die acht autofreien Stunden für eine Ausfahrt auf der über 80 Kilometer langen Touristikroute. Doch wo ist man zwischen Bockenheim und Schweigen dem Himmel am nächsten? Wir haben uns auf die Suche gemacht.

Edenkoben. Die Weinstraße ist kein flaches Brett. Ständig geht es rauf und runter, auf der Gesamtstrecke sind rund 1000 Höhenmeter zu meistern. Doch wo ist der höchste Punkt dieser Weinstraße? Ihr absoluter Gipfel? Herxheim am Berg lockt im Werbeprospekt mit einem Superlativ: „Willkommen im höchsten Ort an der Deutschen Weinstraße.“ Also auf nach Herxheim am Berg. Der Anstieg hat zehn Prozent Steigung – da gibt es an der Weinstraße härtere Passagen. Herxheim am Berg liegt den offiziellen Angaben zufolge 212 Meter hoch. Am Ortseingang ein langer Blick zum Himmel. Weit weg. Unerreichbar. „Sucht ihr das Himmelreich?“, lacht da ein Herxheimer und zeigt nach rechts: „Da liegt es!“ Dieses Himmelreich beginnt hinter Kalksteinmauern und Eisengittern. Zum Greifen nah, aber trotzdem unerreichbar. „Himmelreich“ ist eine der berühmten Weinlagen von Herxheim am Berg. Die Weinberge hinter dieser Mauer sind das alte Herzstück des heute 25 Hektar umfassenden Herxheimer Himmelreichs. Eine riesige Sonnenterrasse mit einem traumhaften Blick bis zum Odenwald. Diese Keimzelle des Himmelreichs ist drei Hektar groß, sie gehörte früher zu einem Klostergut, heute ist sie im Besitz des Weinguts Schumacher. Dort erhört man unseren Wunsch, Laura Franke öffnet das große schmiedeeiserne Tor. Die 31-Jährige kümmert sich in dem Familienbetrieb vor allem um den Verkauf. „Dieser Ursprung vom Himmelreich ist komplett ummauert, wie ein französischer Clos“, sagt Franke. Die Weine aus diesem Wingert kennzeichnet das Gut deshalb mit dem Zusatz „Garten“. Es sind vor allem Rieslinge und Spätburgunder. „Das ist eine einzigartige Lage“, sagt Franke, die Höhe und der Muschelkalkboden würden ganz besondere, eher pfalzuntypische Rieslinge hervorbringen: „Sie sind nicht so floral, sondern filigraner, mineralischer“, meint die Agraringenieurin. „Sie schmecken mehr nach Zitrus und Weinbergspfirsich als nach Aprikosen.“ Aber wie kam dieses „Himmelreich“ überhaupt zu seinem Namen? Der Herxheimer Ortshistoriker Eric Hass weiß die Antworten. Von einer Weinlage dieses Namens werde nachweislich erst Mitte des 19. Jahrhunderts gesprochen. Wie es dazu kam, klingt unglaublich. Das Gut samt Herrenhaus hat eine wechselvolle Geschichte, schon 1482 wird es in Urkunden erwähnt. Immer wieder wechseln die Besitzer, 1843 gehört es einem Eduard Fasbender. Dieser Gutsherr soll ein schlechter Kirchgänger gewesen sein. Was passierte, als der Pfarrer damals den vermögenden Herrn zum Gottesdienstbesuch drängen wollte, schildert Ortshistoriker Hass aufgrund von Überlieferungen so: Dieser Gutsbesitzer nahm den Pfarrer an die Hand und führte ihn an seine Südfensterfront im erste Stockwerk des um 1718 erbauten barocken Anwesens. Dort angekommen, zeigte er dem Pfarrer die wunderschöne weitläufige Aussicht und sagte: „Seht doch, Herr Pfarrer, welche eine wunderbare Aussicht ich von hier über die sonnigen Weinberge bis in die Speyerer Bischofsstadt habe, das ist ,mein Himmelreich’, was soll mir dann noch der sonntägliche Kirchgang mehr Himmlisches bringen.“ Damit war der Name in der Welt. „Man denkt hier wirklich, man ist im Himmelreich“, sagt auch Laura Franke und lacht doch etwas über diese Anekdote. Ihr Uronkel ließ sich übrigens 1927 den Namen „Himmelreich“ für seine Weinberge im „Garten“ beim Reichspatentamt in Berlin als Warenbezeichnung schützen. Erst mit der Weinrechtsreform 1971 war es vorbei mit dem exklusivem Himmelreich, jetzt durfte diese Lagenbezeichnung auch von anderen Winzern für außerhalb der Gutsmauer erzeugte Weine genutzt werden. „Damit stand der Himmel also wieder jedem offen“, hat der Bad Dürkheimer Pfarrer Norbert Leiner dazu einmal treffend formuliert. Wir schieben die Fahrräder aus dem Himmelreich zurück auf die irdische Weinstraße. Laura Franke schließt das Tor. Was für ein Kleinod! Ob allerdings das mit Herxheim am Berg als dem höchsten Ort der Weinstraße stimmt? Zweifel sind erlaubt, etliche Weinstraßenorte in der Südpfalz wie Frankweiler oder Burrweiler dürften höher liegen. Richtige Gipfelgefühle erlebt der Weinstraßenradler 50 Kilometer von Herxheim entfernt: am Leinsweiler Hof. Wer dort über die kantige Hügelkuppe fährt, passiert einen steinernen Torbogen. Es ist eine kleine Zieleinfahrt, der Höhenmesser zeigt 261 Meter an. Ist das der höchste Weinstraßenpunkt? Frank Heil stoppt kurz am Torbogen und überlegt: „Vielleicht, oder doch weiter vorne am Stich bei Frankweiler?“ Heil kommt mit zwei Begleitern aus Klingenmünster. Dort wurde der Erlebnistag am Morgen eröffnet, Kirchenpräsident Christian Schad und Bischof Karl-Heinz Wiesemann gaben den Startschuss. „Das haben wir alles mitgemacht, das volle Programm“, sagt Heil. Das Trio will noch bis nach Frankweiler und dann zurück in den Heimatort Klingenmünster. „Dort ist schließlich Kerwe“, sagt Frank Heil beim Losradeln. Es ist ein heißer Tag. In Edenkoben ist die protestantische Kirche den ganzen Tag geöffnet. Ein kühler Platz. Und nicht nur das. Pfarrerin Judith Geib: „Ich wollte das schon immer mal machen, jetzt bei diesem Erlebnistag-Motto musste es einfach sein.“ Es gibt Kirchenführungen, Orgelmusik, alkoholfreie Cocktails. Und wer in der frisch renovierten Kirche nach oben schaut, der blickt tatsächlich mitten in den Himmel. Ganz nah ist er. Das Deckengemälde zeigt fünf Engelsgestalten, drei schweben über den Wolken – sie stellen Glaube, Liebe und Hoffnung dar. Die Renovierung war ein Kraftakt, berichtet Geib. Neun Monate war die Kirche, die aus dem 18. Jahrhundert stammt, wegen der Bauarbeiten geschlossen, rund 560.000 Euro kostete die Sanierung. Ein Großteil wurde über eine Spendenaktion finanziert. Ihr Titel: „Dein Stück vom Himmel“. Die Unterstützer konnten sich konkrete Sanierungsobjekte für ihre Spende aussuchen: Emporenbilder, Boden, Säulen, Altar oder eben das Deckengemälde. Dass die Engel bleiben dürfen, war anfangs gar nicht sicher. Sie waren erst bei der ersten großen Kirchensanierung im Jahr 1876 an die Decke gemalt worden. Zuvor prangte an dieser Stelle eine goldene Sonne. „Eine pausbäckige Sonne soll es gewesen sein“, sagt Geib. Denn von diesem alten Gemälde gibt es keine Darstellungen mehr, niemand weiß genau, wie es ausgesehen hat. Dennoch stellte sich der Denkmalschutz zunächst auf den Standpunkt, dass – wenn die Kirche schon wieder in den Originalzustand versetzt wird – dann auch die Sonne wieder an die Decke müsse. Geib, seit 2008 Pfarrerin in Edenkoben, blieb standhaft: „Seit 1876 ist den Menschen hier dieses Stück Himmel vertraut, warum sollte man das plötzlich ändern.“ Anderes änderte sich hingegen. Als man die Kirche im Jahr 1960 innen letztmals gestrichen hatte, war reichlich Rosa verwendet worden. Dazu Gelb und Lindgrün. Geib: „Die Farben haben mich an das Küchen-Design der 1960er-Jahre erinnert, offenbar wollte man damals ganz modern sein.“ Die Restaurateurin kratzte sich durch Schicht und Schicht der alten Anstriche im Kirchenschiff. Rosa war nicht dabei. Kein Originalton. Jetzt dominieren Weiß, Gelb und Blaugrün – die Farben sorgen für einen hellen, herzlich-warmen Empfang. Die Sanierungsarbeiten zogen sich 2014/15 über den Winter hin. „Es war teils bitterkalt, die Restaurateurin hat an der Decke im Skianzug gearbeitet“, berichtet Geib. Der kühle Platz wird da kurz noch ein gefühltes Stück kühler. Doch die Weinstraßenradler müssen weiter. Draußen sind es 35 Grad. Da leistet eine pausbäckige Sonne wirklich ganze Arbeit. Gegenüber der Kirche bietet das Touristikbüro eine nette Überraschung: Dort können Radler eine Postkarte an liebe Nicht-Erlebnistagbesucher schreiben, das Porto übernimmt die Gemeinde. Jutta Grünenwald vom Edenkobener „i-Punkt“ hat 150 Karten für die Aktion geordert. Das Motiv zeigt die fünf Engel vom Deckengemälde der Kirche. Ein Gruß aus dem Himmel ... Einwurf Info www.kirchensanierung-edenkoben.dewww.schumacher-weine.de

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