Bad Dürkheim Hinterhältiges Heimpersonal wird besiegt

Die Puppenspieler Daniel und Regina Wagner mit den Figuren Wolf und Fuchs.
Die Puppenspieler Daniel und Regina Wagner mit den Figuren Wolf und Fuchs.

Verkehrte Märchenwelt: Zwei Schafe kidnappen sieben „Geiselein“ und der Wolf schluckt ein vergiftetes Apfelstück. Bei der Figurenkomödie „Berliner Stadtmusikanten“, einem satirischen Bühnenmärchen für Erwachsene, steht die Welt der Brüder Grimm Kopf. „Sag mal, geht`s noch?“, heißt deren zweiter Teil, den das Berliner Theater Zitadelle am Freitagabend beim Limburg-Sommer zeigte.

Die originelle Grimm-Adaption, die wegen des Brandes der Klosterschänke in der Limburg, vom Refektoriumskeller der Limburg ins Haus Catoir verlegt werden musste, mischt Märchenelemente mit Elementen der Fabel. Die Handlung knüpft dort an, wo der erste Teil hoffnungsvoll aufhörte. Wer diesen nicht kennt, konnte der Aufführung am Freitag trotzdem problemlos folgen. Im Handumdrehen holen die Figurenspieler Daniel und Regina Wagner ihre Zuschauer direkt ins Geschehen hinein. Die Thematik ist nicht gerade amüsant: Es geht um die Nöte der betagten Bewohner im Altenheim „Zum Sonnenschein“, um ihren öden Alltag und ihre heimlichen Träume von einem Glück als Stadtmusikanten in Berlin. Eine abgeschlossene Geschichte neu aufzugreifen, ist auch wegen der Erwartungen der Zuschauer nicht einfach. Regina und Daniel Wagner meistern die Hürde mit schwungvollem und abgründigem Humor. Die überzeichnete Komik hat ihren Reiz in immer neuen Absonderlichkeiten. So treten unverhofft zwei Schafe als wollige und willige Hilfsganoven des arglistigen Fuchses auf den Plan und reizen mit trotteligem Humor zum Lachen. Parallel zum nahtlos wechselnden Figurenspiel verkörpern Daniel und Regina Wagner in trister Uniform das hinterhältige Heimpersonal: Kaum zurückgekehrt, gängeln und bestehlen Pfleger Eugen und Schwester Gisela ihre hilflosen Schützlinge von neuem. Der Gegensatz von Fremdbestimmung im Heimalltag und zaghaft aufkeimender Lebensfreude wird in der Fortsetzung zwar weniger beklemmend gezeigt als im ersten Teil, dennoch arbeitet die Regie von Pierre Schäfer den traurigen Hintersinn deutlich heraus. Die Heimbewohner erlebt der Zuschauer als skurrile Tierwesen, die erstaunlich menschliche Eigenschaften an den Tag legen. Angefertigt hat die Tischfiguren Mechthild Nienaber. Den Stoffgesichtern legt sie viel Charakter in die Züge, während die Spieler die Beweglichkeit der Körper herrlich ausspielen. In der Resignation der Tiere zeigt sich ihr Seelenleben ebenso überzeugend wie im aufflackernden Freiheitsdrang. Dass die Wagners mit den Tierrollen verschmelzen, etwa wenn sie ganz offensichtlich Pfoten, Hufe oder Flügel führen, lässt die tierischen Akteure umso lebendiger wirken. Auch deren Lebensgeschichten tragen dazu bei. So klingt eine geheimnisvolle Vorgeschichte des Wolfes an: Daniel Wagner gibt dem sichtlich angeschlagenen Raubtier mit Stimme und Haltung einen rauen Charme. Ebenso erweist sich die Katze, jetzt „schrecklich“ vergesslich, als Wesen mit Vergangenheit. Es wird sehr still im Saal, als das Spielerduo die berührende Szene zeigt, bei der Herr Wolf wegen eines vergifteten Apfelstücks mit dem Tod ringt und die Tiere um ihn weinen. Dabei blitzt die gemeinsame Vergangenheit von Wolf und Katze als Gangster-Pärchen auf. Überhaupt gelingt den Wagners eine vorzügliche Mischung aus Witz und Emotion. So zeigt Regina Wagner den lebensmüden Herrn Spatz mit jämmerlich zuckendem Flügelchen, bevor er von einer geschluckten Überdosis Tabletten befreit wird. Es läuft wie im Märchen: Der kuriose Krimi um einen geraubten und vergessenen Diamanten wendet sich überraschend zum Happy-End. Wie einst Schneewittchen erwacht der Wolf wieder zum Leben, und das üble Pflegepersonal wird mit Bravour überlistet. Nun könnten die Berliner Stadtmusikanten zufrieden bis an ihr Ende leben. Indes wird auf der Bühne schon der dritte Teil versprochen. Man darf also gespannt sein.

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