Rheinpfalz Das Handy des Ober-Islamisten

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Weil sie im Juli 2015 Islamisten verprügelt haben sollen, stehen ein Ludwigshafener und sein angeblicher Komplize in Mannheim vor Gericht. Der Prozess beschert auch einem der mutmaßlichen Opfer Ungemach: Die Polizei darf jetzt ein Handy durchstöbern, das dem Chef der berüchtigten „Lies!“-Kampagne gehört.

Mannheim/Ludwigshafen. Mit braunen Augen schaut der graubärtige Mann treuherzig in die Kamera: Hinterrücks seien er und zwei Mitstreiter in Mannheim überfallen, verprügelt und verletzt worden. Das berichtet er in mehreren, im Sommer 2015 ins Internet geladenen Videos. Und er fügt hinzu: Nun könne er nicht mehr schlafen, doch den Angreifern habe er trotzdem verziehen. Denn das gebiete ihm der Islam. Bei deutschen Behörden allerdings hat dieser scheinbar so sanftmütige Prediger einen ganz anderen Ruf. Mit Terrorbanden wie dem IS oder Al Qaida will sich Ibrahim Abou-Nagie zwar nicht in Verbindung bringen lassen. Für einen religiösen Extremisten halten ihn Verfassungsschützer trotzdem. Als Chef der „Lies!“-Kampagne mobilisiert der 52-Jährige jene Straßenmissionare, die in Fußgängerzonen kostenlose Koran-Übersetzungen verteilen. Wenn junge Männer von Deutschland aus in den Krieg nach Syrien ziehen, dann stammen sie auffällig oft aus deren Reihen. Auch eine „Lies!“-Ortsgruppe Ludwigshafen-Mannheim gibt es schon seit mehreren Jahren, am liebsten baute sie ihren Stand am Mannheimer Paradeplatz auf. Am 25. Juli 2015 kommen Unterstützer aus Köln dazu: Abou-Nagie höchstpersönlich, außerdem ein als Nummer zwei seines Koran-Imperiums geltender 34-Jähriger, und ein später nach Russland abgeschobener Tschetschene. Dieser End-Zwanziger wird an jenem Tag gegen Abend mit ausgebreiteten Armen durch die Mannheimer Markstraße stolzieren und immer wieder „Allahu akbar“ brüllen. Ein Video dieser Szene bekommt die Polizei von einem Ladenbesitzer, den der Auftritt der Islamisten offenbar ordentlich eingeschüchtert hat. Doch ausgerückt sind die Beamten aus einem anderen Grund: Passanten haben eine Massenschlägerei auf dem Marktplatz gemeldet. In einer Seitenstraße entdecken Polizisten schließlich das „Lies!“-Trio: Die Männer haben erkennbar Prügel kassiert, Abou-Nagie muss sogar ins Krankenhaus. Doch die Beamten bemerken auch: Selbst als Opfer einer Straftat zeigen die Islamisten zunächst „keinerlei Kooperationsbereitschaft“. Doch immerhin gibt es Fotos, die eine Passantin gleich nach der Attacke gemacht hat. Die Mannheimer Ermittler reichen sie unter anderem nach Ludwigshafen weiter, und dort erkennen Beamte auf den Bildern zwei vertraute Gestalten: jene beiden 23-Jährigen kurdischer Herkunft, die nun vor Gericht stehen. Doch die Bilder beweisen nur, dass die Angeklagten vor Ort waren. Dass sie tatsächlich mitprügelten, könnten nur zusätzliche Zeugenaussagen belegen. Belastende Hinweise kommen zum Beispiel von den beiden Mitstreitern Abou-Nagies. Denn sie redeten später doch noch mit der Polizei, auch der „Lies!“-Chef selbst hat mittlerweile ausgesagt. Er aber behauptet: Nach dem Angriff wurde er bewusstlos, deshalb könne er sich an nichts erinnern. Und die ihm von der Polizei vorgelegten Fotos der mutmaßlichen Angreifer habe er sich nie richtig angeschaut. Allerdings hat er im Prozess auch gesagt: Eine Beobachterin des Vorfalls habe ihm gleich nach der Attacke ein Handy-Bild präsentiert, das die Täter zeige. Noch halb benommen, habe er die Aufnahme mit seinem eigenen Gerät dann abfotografiert. Alexander Klein, der Verteidiger des Ludwigshafener Angeklagten, argwöhnt deshalb: Abou-Nagie könnte diese Datei weitergereicht, seine Anhänger damit für Aussagen bei der Polizei präpariert haben. Daher forderte der Rechtsanwalt, dass der „Lies!“-Chef das Foto im Gerichtssaal vorzeigt. Abou-Nagie allerdings sagte, er könne es unter den Tausenden Bildern auf seinem Gerät so schnell gar nicht finden. Also ließ die Richterin das Telefon einfach einkassieren: Polizisten sollen in den nächsten Wochen die darauf gespeicherten Bilder durchsuchen. Mittlerweile hat sie ihren Recherche-Auftrag für die Beamten sogar noch ausgeweitet: Sie sollen jetzt auch in den Textnachrichten schauen, ob das Foto weitergeleitet wurde. Damit haben Mannheimer Ermittler derzeit ganz unerwartet einen weitgehenden Zugriff auf persönliche Daten eines führenden Islamisten. In denen dürfen sie zwar eigentlich nur nach Informationen zu der Prügel-Attacke suchen. Doch wenn sie nebenbei auf anderes, strafrechtlich relevantes Material stoßen sollten, könnten sie solche „Zufallsfunde“ trotzdem verwenden. Also dürften jetzt Staatsschützer aus anderen Teilen Deutschlands im Mannheimer Polizeipräsidium anrufen – und bei einem netten Plausch erwähnen, worauf die Kollegen dort nebenbei noch achten könnten, wenn sie Abou-Nagies Mobiltelefon durchforsten. Immerhin hat ein Kölner Gericht den „Lies!“-Chef gerade erst zu einer – noch nicht rechtskräftigen – Bewährungsstrafe verurteilt, weil er sich 53.000 Euro an Sozialleistungen erschwindelt habe. Die Angeklagten im Mannheimer Verfahren hingegen hoffen derzeit wegen schwacher Indizien auf Freispruch. Wie Abou-Nagie darauf reagieren wird, lässt sich erahnen. Schon kurz nach dem Angriff würzte er Videobotschaften mit finsteren Andeutungen: über die Rolle der Behörden bei der Attacke. Und über mysteriöse Hintermänner. „Sie wollen es erreichen, dass wir abgeschlachtet werden“, sagt Abou-Nagie in einem Video und schaut mit braunen Augen treuherzig in die Kamera. „Genauso, wie sie sechs Millionen Juden abgeschlachtet haben.“ Einwurf, Zur Sache

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