Kreis Bad Duerkheim Angela Merkel fährt Schubkarre

Neue Heimat in Schallodenbach: die kleine Angela Merkel Ramadan (Bildmitte, mit Schleife) zusammen mit Mutter Khadija Alhamyd un
Neue Heimat in Schallodenbach: die kleine Angela Merkel Ramadan (Bildmitte, mit Schleife) zusammen mit Mutter Khadija Alhamyd und den Geschwistern Mohamad, Aya, Shahed und Elas.

Angela Merkel läuft mit tapsigen Schritten auf ihren Bruder zu. Der verfrachtet sie in eine Schubkarre, um sie zu den übrigen Geschwistern zu kutschieren, die auf der Wiese hinterm Haus johlend auf die beiden warten. Angela Merkel ist eineinhalb Jahre alt und heißt mit Familienname Ramadan. Ihre Eltern stammen aus Syrien. Der dort wütende Bürgerkrieg hat sie nach Schallodenbach im Kreis Kaiserslautern verschlagen.

In der Gemeinde nördlich von Kaiserslautern hat die Familie eine neue Heimat gefunden. Schallodenbach markiert den Endpunkt einer Odyssee, wie sie für den Syrienkrieg und das Schicksal tausender Flüchtlinge ebenso typisch wie grausam ist. Die Geschichte beginnt in Deir er-Zor, der knapp 300.000 Einwohner zählenden Euphrat-Metropole im Osten jenes Landes, das sich offiziell weiterhin Arabische Republik Syrien nennt. Vater Firas Ramadan arbeitete hier als Kraftfahrer, auch für die Streitkräfte. Nach den ersten Unruhen zog er mit seiner Frau Khadija Alhamyd und den damals fünf Kindern nach Damaskus. Hier verlor die Familie Ramadan bei einem Bombenangriff ihr Haus. „Freunde und Verwandte sagten uns, dass Deutschland sicher sei, dass es uns dort gut gehen würde“, erinnert sich Khadija Alhamyd, die wie viele moderne Syrerinnen den Namen ihres Manns nicht angenommen hat. Da Firas auch für die Armee fuhr, gilt er heute als Deserteur – ein weiterer Grund, nicht nach Syrien zurückzukehren. Die Suche nach einer friedlicheren Heimat begann für die Ramadans in Aleppo. Im Kleinbus ging es über die türkische Grenze nach Izmir, von dort per Schlauchboot weiter in Richtung Griechenland. 2500 Euro musste der heute 36-jährige Firas dafür bezahlen. Seine gleichaltrige Frau berichtet: „Wir haben während der gesamten Reise nicht geschlafen. Das Boot war vielleicht neun Meter lang und hatte 54 Menschen an Bord.“ Es prallte in der Nacht gegen einen Felsen und riss. Alle Insassen wurden samt ihren Habseligkeiten ins offene Meer getrieben. Die Männer nahmen die Kinder auf ihre Schultern, schwammen mit ihnen ans Ufer. Auf griechischer Seite nahm sich zunächst das Rote Kreuz der Gestrandeten an. Über Athen, Mazedonien und Slowenien gelangten die Ramadans schließlich per Bus nach Deutschland. Auch hier der übliche Irrweg der Heimatlosen: Registrierung, Formalitäten und die Auswüchse des Bürokratismus in der fremden Sprache, Sicherheitscheck, Einquartierung in Trier, dann in Diez, schließlich in Schallodenbach. Khadija Alhamyd war während dieser Schreckenszeit hochschwanger. In der „Erstaufnahmeeinrichtung“ Diez brachte sie Ende 2015 ihr sechstes Kind zur Welt, nachdem zwei Babys bereits unmittelbar nach der Geburt in Syrien gestorben waren. „Deutschland hat uns aufgenommen und war gut zu uns“, sagt Khadija, die die Ängste und Schrecknisse der Flucht nicht vergessen kann. Aus Dankbarkeit für die Hilfe, die ihnen in der Bundesrepublik zuteil wurde, gaben die Ramadans dem neugeborenen Mädchen die Vornamen Angela Merkel. „Aber manchmal sagen wir auch Angie“, lacht die Schallodenbacherin Margit Höhn, die sich mit ihrem Mann Gerhard um die neuen Nachbarn kümmert. Das Pfälzer Ehepaar begleitet die neuen Freunde aus dem Nahen Osten nicht nur bei Behördengängen und Arztbesuchen, sondern erledigt mit den schulpflichtigen Kindern auch Hausaufgaben. Inzwischen spielen Angela, Mohamad, Aya, Elas, Shahed und Shoruk im Garten der Höhns genauso gern wie in der elterlichen Mietwohnung, wo Khadija den Besuchern orientalischen Kaffee mit Kardamom serviert. Vater Firas Ramadan besucht in Kaiserslautern den Integrationskurs und fehlt deshalb beim sommerlichen Nachmittags-Idyll. Ganz ungetrübt ist der gemütliche Plausch ohnehin nicht: Noch immer schrecken die älteren Kinder auf, wenn vom Himmel das Motorgeräusch eines Flugzeugs zu hören ist.

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