Rheinland-Pfalz Wie die NS-Kunst über Nacht verschwand

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Die in Bad Dürkheimer Lagerhallen versteckten Statuen schmückten einst Hitlers Reichskanzlei, dann zierten sie eine Sowjet-Kaserne in Brandenburg. Und in der Wendezeit waren sie auf einmal verschwunden. Eine Künstlerin forschte schon damals nach. Doch sie wurde überall angeschwiegen. Nur einige russische Soldaten plauderten.

BAD DÜRKHEIM/EBERSWALDE. Golden glänzten die Siegertypen in den 1980er-Jahren. Ihre gestählten Muskeln sollten Sowjet-Soldaten ein Ansporn sein: „Sport und Kriegshandwerk marschieren zusammen“, so stand es in russischer Sprache auf der Tafel neben einer der Statuen. Ein anderer Schriftzug erinnerte an den glorreichen Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland. Die beiden heroischen Gestalten allerdings hatte ein prominenter Bildhauer jenes Reiches signiert, dessen Untergang hier gefeiert wurde: Arno Breker, er war Hitlers Lieblingsbildhauer. Auf die „Gottbegnadetenliste“ des „Führers“ hatten es weitere Künstler geschafft, deren Statuen ab den 1950er-Jahren den Kasernen-Sportplatz in Eberswalde zierten. Die Figuren wurden dort silbern, dann golden angemalt. Und nichts erinnerte an die braune Vorgeschichte der roten Propaganda-Installation. Unter Kennern sprach es sich trotzdem herum: Die sowjetische Armee hortet in Brandenburg Werke, die einst die Berliner Reichskanzlei schmückten. 1985 zum Beispiel schlich sich der Fotograf Thomas Steinert auf das Gelände und machte dort Aufnahmen. Wenige Jahre später beschrieb die Kunsthistorikerin Magdalena Bushart das Ensemble in Artikeln. Die erschienen im Lauf des Jahres 1989 in Westdeutschland, unter anderem in einer kunsthistorischen Fachzeitschrift. Überschrift dort: „Überraschende Begegnung mit alten Bekannten“. Die Wissenschaftlerin fragte in ihrem Text, wie viel NS-Ideologie in der Kunst aus der NS-Zeit steckt. Eberswalde zeigte ihrer Meinung nach: Stellt man die Figuren in einen neuen Kontext, dann bekommen sie auf einmal eine neue Bedeutung. Das lasen wohl auch Leute, die eher die ursprüngliche Bedeutung solcher Werke fasziniert. So jemand scheint Rainer Wolf zu sein. Dem Bad Dürkheimer, ein erfolgreicher Unternehmer, Jahrgang 1941, wird eine einschlägige Gesinnung zugeschrieben. Und eine einschlägige Sammelleidenschaft. Die hat ihn jetzt über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gemacht. Denn Kunstfahnder des Berliner Landeskriminalamts haben bei ihm unter anderem jene Statuen gefunden, die erst die Reichskanzlei und dann die Kaserne in Eberswalde dekorierten. Dem Bad Dürkheimer und weiteren Beteiligten wird deshalb vorgeworfen, sie hätten sich Bundeseigentum unter den Nagel gerissen. Sein Anwalt wiederum hat erklärt: Wolf habe alles legal gekauft, zum Beispiel „bei den früheren Herstellern“ (wir berichteten). Dazu passt der Bericht eines ehemaligen Angestellten Wolfs. Dieser Mann sagt: Mehrfach sei er nach Düsseldorf geschickt worden, um dort Figuren abzuholen. Denn in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt leben die Nachfahren Brekers, bis heute kann man bei ihnen Werke des Hitler-Günstlings kaufen. Eine Tochter des Bildhauers hat der RHEINPFALZ zudem bestätigt, dass Wolf zu den Kunden der Familie gehört. Doch sie sagt auch: Die Figuren aus Eberswalde muss er anderswo aufgetrieben haben. Tatsächlich hat der Anwalt des Bad Dürkheimers die „russische Armee“ als weitere Quelle der Sammlung angeführt. Doch wie genau die Geschäfte abgewickelt worden sein sollen, dazu schweigt er. Sicher ist: Im Sommer 1990 standen auf dem Sportplatz in Eberswalde nur noch die russischen Propaganda-Schilder. An die NS-Kunstwerke erinnerten allenfalls die Schleifspuren auf der Aschenbahn. Die Umweltschützerin, Künstlerin und DDR-Regimekritikerin Hannelore Gilsenbach ging daraufhin auf die Suche. Sie fragte den ehemaligen SED-Bürgermeister, der schon zu einer Bank gewechselt war. Sie erkundigte sich bei Metallverarbeitern in der Region, sie schrieb ans DDR-Kulturministerium und ans Oberkommando der UdSSR-Weststreitkräfte. Doch niemand konnte oder wollte etwas sagen. Nur ein paar russische Offiziere in Eberswalde plauderten, berichtet die inzwischen 65-Jährige nun der RHEINPFALZ. Die Männer erzählten ihr: „Deutsche Stellen“ hätten sich bei den sowjetischen Streitkräften wegen der Statuen gemeldet, und Deutsche hätten sie Anfang 1989 auch abgeholt. Nachts. Angeblich, um sie zu verschrotten. Doch beim Aufladen seien die Transporteure sehr vorsichtig gewesen. Und als die Soldaten hilfreich sein und sperrige Bronzearme einfach absägen wollten, da hätten sie entsetzt abgewehrt. Gilsenbach konnte sich auf diese Geschichte damals gleich mehrere Reime machen. Einer davon: Die DDR-Außenhandelsgesellschaft KoKo könnte ihre Finger im Spiel haben. Die Organisation des Wirtschaftsfunktionärs Alexander Schalck-Golodkowskis verkaufte dem Westen zum Beispiel Heizöl, versorgte die klammen DDR-Machthaber so mit Geld. Eine besonders berüchtigte Abteilung plünderte Museen und private Kunstsammlungen, um Antiquitäten jenseits des Eisernen Vorhangs zu verhökern. Weil das nach DDR-Recht eigentlich illegal war, wurden die Stücke als „Gebrauchtwaren“ deklariert. Der Wirtschaftshistoriker und KoKo-Experte Matthias Judt vermutet: Wenn tonnenschwere Bronzestatuen als Schwertransport quer durch die DDR gefahren wurden, könnten Honeckers Devisenbeschaffer tatsächlich geholfen haben. In offizieller Mission – oder auf eigene Rechnung. Schließlich, sagt der Wissenschaftler, arbeiteten gerade in Schalck-Golodkowskis anrüchigem Antiquitätenhandel gewiefte Spezialisten für dunkle Geschäfte, „die sich etwas trauten“. Und die den Untergang der DDR früher als andere kommen sahen. Doch auch sie konnten nicht einfach in eine sowjetische Kaserne fahren und dort Statuen auf Tieflader hieven. Die eigentlichen Verkäufer müssen also tatsächlich sowjetische Militärs gewesen sein, vermutet Judt. Das allerdings bedeutet noch längst nicht, dass hier ein legaler Handel mit der Roten Armee abgewickelt wurde. Schließlich, sagt Historiker, machten korrupte Soldaten des untergehenden Sowjetreichs alle möglichen krummen Geschäfte, verschoben über ihre Flugplätze sogar massenweise gestohlene Autos.

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