Rheinpfalz „Viel Feuerstein“

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„Eine Stunde mit ...“ heißt eine neue RHEINPFALZ-Gesprächsreihe, bei der sich der Gast jeweils den Ort des Treffens aussuchen darf. Steffen Christmann (52), Spitzenwinzer aus Neustadt und Präsident des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP), hat dafür einen seiner Weinberge gewählt – die Toplage Idig bei Königsbach. Dort unterhielt sich RHEINPFALZ-Redakteur Rolf Schlicher mit Christmann. Stummer Zeuge war die RHEINPFALZ-Sanduhr – sie läuft genau eine Stunde.

Wie bereitet man sich auf solch ein Gespräch vor? Man liest die vielen Interviews, die Christmann in den vergangenen Jahren gegeben hat. Und man hört sich um: Im Elternhaus von Christmann soll Fleischwurst einst verpönt gewesen sein. Bei „Eine Stunde mit...“ wollen wir immer mit einer „Entweder-oder-Frage“ ins Gespräch kommen. Ich frage deshalb: „Schokolade oder Fleischwurst?“, und lege beides vor Christmann auf den Tisch. „Ich esse beides gerne, ich kenne keinen Haushalt, in dem es so etwas nicht gibt“, sagt Christmann lachend. Also keine fleischwurstlose Kindheit. Die Einstiegsfrage ist schon mal eher ein Flop. Nächster Versuch: Welche Rolle spielen Gerüche für Christmann, beispielsweise von alten Schränken oder Häusern? „Ja das passiert, da fühlt man sich plötzlich zurückversetzt“, sagt Christmann. Und erzählt gleich ein Beispiel. Kürzlich habe es bei einem Essen eine Salatsauce gegeben, die eine ganz bestimmte Maggikraut-Note hatte. Das habe genau so geschmeckt wie vor 40 Jahren der Salat in jenem Hotel am Genfer See, in das ihn die Großeltern als Bub in den Sommerferien mitnahmen: „Man schmeckt das und in dem Augenblick schießt einem der Speisesaal dieses Hotels in den Kopf.“ Dass er damals mit Oma und Opa fuhr, hatte seinen Grund. Die Eltern seien „klassische Winzer“ gewesen – dass sie im Sommer hätten Ferien machen können, sei damals undenkbar gewesen. Wir bleiben beim Thema. „Wie riechen Steine?“, frage ich. Gerade nach dem ersten Regen hätten nasse Steine einen ganz speziellen Geruch, meint Christmann. Mit meiner Frage will ich auf einen bestimmten Punkt hinaus. Hier im Idig erntet Christmann einen Riesling, der nach der VDP-Klassifikation als Großes Gewächs eingestuft ist. Ein Topwein also. Über den 2010er Idig war bei einem großen Bremer Weinhändler zu lesen: „Sehr dichtes Nasenbild, viel Feuerstein und Zitronenzesten.“ Ist das überkandidelte Weinsprache oder eine treffende Beschreibung? Wir erzählen uns, wie wir als Kinder Feuersteine angeschlagen haben. „Das gibt einen ganz speziellen Geruch, den man beim Wein mit Mineralität verbindet“, sagt Christmann. Der Grund des Idigs ist von Kalksteinen durchzogen, der Hang fällt dazu für Pfälzer Verhältnisse relativ steil nach Süden ab. Eine ganz besondere Weinlage. Seit 1992 sind diese vier Hektar im Besitz der Christmann-Familie. Weine von solchen Kalkböden sollten von ausgeprägter Mineralität getragen sein, sagt Christmann. Zeit, einen Idig-Riesling zu probieren. Der Winzer hat eine Flasche mitgebracht. Tatsächlich: Feuersteinaromen. Wir sitzen mitten im Idig auf einem kleinen Plateau, wo früher das Teehaus eines Deidesheimer Traditionsweinguts stand. Irgendwelche Spitzbuben hätten das Teehaus einst abgefackelt, erzählt Christmann. Dessen Umrisse ließ er vor Jahren mit einer Konstruktion aus acht Stahlbalken nachbilden. An diesem Tag bläst der Wind kräftig durch das Lufthaus. Der Feuersteingeruch ist flüchtig. Und gibt Christmann dennoch Gelegenheit zur Positionsbestimmung: „Wir haben das Glück, in der Pfalz am idealen Schnittpunkt für große trockene Rieslinge zu leben – solche Plätze gibt es nur ganz wenige auf der Welt.“ Am Kaiserstuhl oder in Rheinhessen seien die Klimabedingungen schon wesentlich anders. Das elterliche Weingut übernahm Steffen Christmann 1996. Damals war er 31 – dass er in den Weinbau einstieg, war nicht von Beginn an klar. Vor allem ihm nicht. Er studierte Jura, arbeitete zunächst halbtags als Anwalt. Warum? Irgendwie hing dies auch mit den Sommerurlauben zusammen, für die seine Eltern wegen der vielen Arbeit keine Zeit hatten – weshalb die Großeltern einsprangen. Seine Eltern hätten es nicht leicht gehabt, ihr Leben sei ziemlich anstrengend gewesen für das, was unter dem Strich hängen blieb. So dass sich der Sohn damals manchmal fragte: „Vielleicht gibt es ja Wege, wo das Leben einfacher sein könnte?“ Christmanns Entscheidung war eindeutig: Er absolvierte parallel zum Jurastudium eine Weinbauausbildung am DLR Rheinpfalz. Heute gehört der Betrieb zu den Spitzenweingütern der Pfalz, Christmanns Credo heißt: „Pure Leidenschaft für Wein.“ Er will zu den Besten gehören, er bezeichnet sich selbst als „qualitätsfanatisch“. Fast zwangsläufig deshalb: Seit 2007 ist er Präsident des VDP, der sich als Repräsentant der deutschen Weinelite sieht. 200 Mitglieder hat der Verband. Ich frage: „Haben Sie auch schon mal eine Flasche Wein bei Aldi gekauft?“ „Ja“, gesteht Christmann, er habe bei diesem Discounter schon alles eingekauft. Aber es waren wohl eher Stippvisiten, um zu sehen, wie Aldi und seine Kundschaft funktionieren. Die Grundideologie von Aldi passe ihm nicht, bekennt Christmann. Und wie hält er es mit Bier? Immerhin hat der VDP gerade eine Patenschaft mit Bitburger besiegelt und auf der Fachmesse „Prowein“ in Düsseldorf zum „Feierabendbier“ geladen. Bier sei für ihn ein Getränk, das er manchmal „auf den ersten Zischer“ vorneweg trinke: „Aber das ist keine „Herzenssache bei mir“. Die letzten Sandkörner rieseln durch die Uhr. Die letzte Frage bei „Eine Stunde mit ...“ gehört dem Gast. Christmann will wissen: „Welchen Stellenwert hat der Weinbau in der RHEINPFALZ-Berichterstattung?“ „Einen großen“, sage ich, „das sehen Sie ja schon daran, dass wir Sie als ersten zu dieser Reihe eingeladen haben.“ Und ich füge hinzu: „Wein und die Weinlandschaft sind prägend für die Pfälzer Identität“. Vielleicht ist das der Grund, weshalb in dieser Stunde keiner von uns zu Fleischwurst oder Schokolade gegriffen hat ... Info Mehr über „Eine Stunde mit ...“ im RHEINPFALZ-Tagebuch: blog.rheinpfalz.de

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