Rheinland-Pfalz Ein bayerisch-preußischer Grenzgang

Weitblick vom Herzerberg: In der Ferne rechts der Potzberg, vorne Mitte der Niederberg.
Weitblick vom Herzerberg: In der Ferne rechts der Potzberg, vorne Mitte der Niederberg.

Die Pfalz. (Fast) unendliche Weiten, Ebenen, Berge, Wasser, Wiesen. Und viel Wald. Die RHEINPFALZ hat sich wieder auf den Weg gemacht. Kreuz und quer durch die Pfalz. In unserer Sommerserie berichten Redaktionsmitglieder, was sie bei der „Tour de Pfalz 2017“ erlebt haben. Heute: auf einer weiten Wanderung in die Preußischen Berge bei Kusel, über Nacht in der Wiese – Wasser und ein wenig Essen stellt die Natur.

Wo genau ich heute die Nacht verbringen werde, weiß ich nicht. Gewiss ist nur, dass es draußen sein wird unter freiem Himmel. Und es wird auf der Strecke des Preußensteigs sein, der sich vielversprechend Prädikatswanderweg nennt. Für den 28 Kilometer langen Weg füllen möglichst wenig Habseligkeiten den Rucksack. Zusammen lasten dann letztlich aber doch elf Kilogramm auf den Schultern. Ein Gutteil davon macht der Trinksack aus mit seinen drei Litern Wasser. Er ist unverzichtbar in den nächsten Stunden dieses heißen Nachmittages, in denen die Lufttemperatur schweißtreibende 30 Grad erreicht. Wo weiteres lebensspendendes Nass herkommen soll, auch das weiß ich nicht. Ich hoffe auf die Gewässer dieses Landstrichs, der zu den schönsten in der Pfalz zählt. Die Wanderung führt ganz in den Nordwesten der Pfalz in ehemaliges bayerisch-preußisches Grenzgebiet. Sie nimmt ihren Ausgang auf Burg Lichtenberg bei Kusel, eine der größten Burgruinen Deutschlands. Lichtenberg hieß auch das Fürstentum, das hier nach dem Wiener Kongress als abgelegenes Außengebiet 1815 vom Herzog von Sachsen-Coburg-Saalfeld geschaffen wurde. Der verkaufte das Fürstentum Lichtenberg aber schon 1834 an Preußen, weshalb hier dann zwischen Burg Lichtenberg und der Stadt Kusel die preußisch-bayerische Grenze verlief. Den Einstieg in den Preußensteig liegt östlich der Burg an einem hölzernen Tor, an dem mir zum ersten Mal die Wegmarkierung des Preußensteigs begegnet: ein großes schwarzes P auf weißem Grund, darüber eine geschwungenen Linie. Die Strecke ist gut gekennzeichnet, erfordert aber ein wenig Aufmerksamkeit, weil der Weg an der einen oder anderen Stelle abrupt in kleine, unscheinbare Pfade abzweigt. Die aber machen unter anderem die Strecke so reizvoll. Der Weg führt bald bergab durch einen ersten Wald, reich an Eichen, vorbei an einem alten Steinbruch, der längst zugewachsen ist. Hier dominiert das harte, graue magmatische Gestein, das die Geologen einmal Cuselit nannten (heute: Mikrodiorit). Auf Wald folgen Buschreihen und Gerstenfelder, die über einen Bergrücken führen. Der Blick öffnet sich weit über das Pfälzer Bergland und zurück auf Burg Lichtenberg. Ein frischer Wind machen die 30 Grad Celsius erträglich. Vor uns am Horizont erscheint mächtig der Potzberg mit seinem Turm. Doch seine 562 Meter sind nicht die höchste Erhebung des Landkreises Kusel. Es ist einer der Preußischen Berge, den ich später besteigen werde. Dem Bergrücken folgend betrete ich bald als einzigen Ort der ganzen Strecke Diedelkopf, einen Stadtteil Kusels, von wo der Weg in das Landschaftsschutzgebiet Holzbachtal führt. Es ist ein stilles Wiesental, dessen Bach mächtige Erlen säumen. Drei Rehe äsen im Schatten. Hier treffe ich auf die ersten Grenzsteine, die die alte preußisch-bayerische Grenze markieren und die Buchstaben KP und KB für Königreich Preußen und Königreich Bayern. Ich verlasse das Tal leicht ansteigend nach Westen über einen Bergrücken erst durch eine Wiese, dann in einen Hohlweg wieder in einem Wald mit vielen Eichen. Auffällig: Immer wieder führt der Preußensteig durch Wälder mit zahlreichen Eichen. Überhaupt ist die Strecke geschickt gewählt, führt oft über Pfade, gewährt zahlreich wunderschöne Ausblicke und einen grandiosen Fernblick. Der Weg ist teils fordernd, sehr abwechslungsreich und bietet eine stille naturnahe Wanderung, auf der einem kaum Menschen begegnen. Kurz bevor ich aus dem Wald trete, wieder ein Reh, das vor mir ins Unterholz verschwindet – bald mit einem nervösen Bellen. Vorbei an Weizenfeldern erreiche ich einen Höhenzug, der den Blick freigibt über die Berglandschaft mit ihrem Flickenteppich aus Wäldern und Feldern, durch den Baum- und Buschreihen ihre Linien ziehen. Hoch über mir ein Bussard, der den kräftigen Wind nutzt, um seine Höhe zu halten. Im Osten wieder der Potzberg. Bald erreiche ich den Anieshügel (laut Karte: Ameshügel), auf dem ein seltener Hain aus alten Kirschbäumen und Eichen wächst. Nach einer Wegbiegung eröffnet sich von hier ein herrlicher Ausblick über das weite Tal des Pfeffelbachs auf die Preußischen Berge. Wie auf einer Kette reihen sich bewaldete Gipfel von West nach Ost: Herzerberg, Spitzeberg, Mittelberg und Stolzberg, allesamt über 500 Meter hoch. Der Herzerberg mit seinen 585 Metern ist gar die höchste Erhebung des Landkreises Kusel. Ganz rechts liegen der Steinbruch Niederberg und im Tal, gerade noch zu erkennen, die ersten Häuser von Thallichtenberg. Hier am Anieshügel raste ich und gebe mit Nüssen und Rosinen meinem Körper verbrauchte Energie zurück. Weiter geht es nun länger durch Wald. Auf dem Weg vor mir flattern immer wieder Falter auf und tanzen durch die Luft: Admiral und Tagpfauenauge sind dabei. Erneut begegnet mir ein Reh. Dagegen werde ich auf dieser Wanderung nur einem einzigen Menschen begegnen. Der Wald kühlt angenehm an diesem heißen, sonnendurchfluteten Tag. Ich trinke alle 30 Minuten ein wenig. Der Wasservorrat geht nun zur Neige. Noch eine Stunde, dann geht die Sonne unter. Gerade rechtzeitig finde ich in einem Nebenbach des Pfeffelbachs nahe einer alten Mühle eine geeignete Wasserstelle, um meinen Vorratsbehälter wieder zu befüllen. Ein praktischer Wasserfilter macht es gefahrlos trinkbar. In den abendlichen Wiesen jagen Graureiher und Störche nach Beute. Ich sammle ein wenig zarten Löwenzahn, Spitzwegerich und Blüten und Blätter der Schafgarbe, um mein bevorstehendes Abendessen zu bereichern. Die Vinaigrette für den Wiesenkräuter-Salat habe ich vorbereitet im Gepäck. Viel Zeit bleibt nicht mehr, bis es zu dämmern beginnt. Auf der anderen Seite des Pfeffelbachs am Fuße des Herzerberges schlage ich mein bescheidenes Lager auf, in einer Wiese am Rand eines Weizenfeldes. Mit Spiritusbrenner und Kochgeschirr erhitze ich etwas Wasser und gieße die gefriergetrocknete und damit gewichtsparende Fertignahrung für Weitwanderer auf: einen deftigen, vorzüglich sättigenden Linseneintopf mit Rindfleisch. Zuvor aber mache ich den Salat fertig. Die zart-herben Aromen der Blätter regen meinen Appetit noch zusätzlich an. Als Betthupferl noch eine Tasse Aufgusskaffee mit Milchpulver. Während ich esse, äsen 300 Meter weiter zwei Rehe. Bald tritt ein weiteres hinzu, nur 20 Meter entfernt. Die Sonne ist längst verschwunden, das Licht des vollen Mondes tränkt den wolkenarmen Himmel. Es wird eine helle Nacht. Flatternd zeichnen sich die Umrisse einer großen Fledermaus am Firmament ab. Ich liege auf einer dünnen Matte, über mir nur eine leichte Decke und das Himmelszelt. Es wird schnell merklich kühler. Mein Körper ist angenehm erschöpft, der Schlaf kommt schnell. Die Nacht bleibt ruhig, nur selten wache ich kurz auf. Am Morgen, nur wenig nach fünf Uhr weckt mich eine Feldlerche, die hoch oben den Sonnenaufgang herbeiträllert. Und es tritt ein Reh aus einer Buschreihe nur 20 Meter vor mir. Mein Thermometer zeigt 15 Grad Celsius. In der Früh war es unter der leichten Fleecedecke ungemütlich kühl geworden. Vielleicht hat mich ja doch die Kälte, nicht die Lerche geweckt. Mit warmem Porridge und einem heißem Aufgusskaffee stärke ich mich für den Tag. Vorsorglich klebe ich noch eine kleine Scheuerstelle am Fuß ab. Und los geht es zum letzten Drittel der Strecke. Jetzt stehen erst einmal 230 Höhenmeter Anstieg auf den Herzerberg bevor. Genau im Osten unter der aufgehenden Sonne liegt Burg Lichtenberg in der Ferne. Der stramme Aufstieg an einem alten Steinbruch mit dem begehrten Cuselit vorbei bringt mich schnell in Schweiß. Der Ausblick aber auf dem Herzerberg, an einer Startrampe für Drachenflieger, belohnt für den anstrengenden Aufstieg. Der Weitblick erscheint grandios. Er ist sicher einer der schönsten in der gesamten Pfalz. Wie ein Spielzeugdorf liegt der Ort Pfeffelbach vor den Füßen, zur Linken Burg Lichtenberg, dort der Steinbruch Niederberg. Nach dieser erhebenden Rast führt ein sehr steiler Weg wieder hinab, gespickt mit losen Steinbrocken erfordert er Aufmerksamkeit und gute Wanderschuhe. Auf breiten Wegen kommt man später an den Flanken von Herzerberg, Spitzeberg, Mittelberg und – zuletzt wieder am Waldrand und öfter im offenen Feld – am Stolzberg vorbei. Vor mir liegt nun ganz nah das Dorf Thallichtenberg am Fuße der Burg Lichtenberg. Mir ist nach einer längeren Pause, ich will die Aussicht genießen. Doch es bedrängen mich stechfreudige Bremsen. Ich gehe weiter und scheuche einen Grünspecht auf. Ein Neuntöter flattert am Wegrand auf und warnt mit seinem „teck teck teck“. Als ich mich der Burg nähere, spüre ich die Anstrengung der zurückgelegten 28 Kilometer deutlich in den Knochen und Muskeln. Der Wasservorrat ist bereits zur Neige gegangen. Neuneinhalb Stunden bin ich in den vergangenen 18 Stunden dieser Tour gelaufen. Ich freue mich auf die Flasche Wasser in meinem Auto, auf das alkoholfreie Weizenbier im Burgrestaurant. Und auf den Blick vom Bergfried nach Westen hinaus ins weite Tal des Pfeffelbachs und auf die Preußischen Berge. Info —Strecke und Unterkunft: preussensteig.de —Burg Lichtenberg (burglichtenberg-pfalz.de) ist alleine eine Reise wert. Sie bietet ein Restaurant (burglichtenberg.de), eine Jugendherberge (diejugendherbergen.de/jugendherbergen/thallichtenberg/portrait), das Urweltmuseum Geoskop (urweltmuseum-geoskop.de) und das Pfälzer Musikantenland-Museum. — 25 der besten Folgen der „Tour de Pfalz“-Serien aus den Vorjahren sind in einem RHEINPFALZ-Buch versammelt: Ausflüge per Boot, zu Fuß, mit Rad, Segway oder mit dem Cabriobus, 2012, 160 Seiten, 9 Euro, ISBN 978-3-937752-21-1. —Die nächste Tour in der aktuellen Staffel erscheint am 24. Juli: Stand Up Paddling bei Speyer.

Preußisch-bayerischer Grenzstein im Holzbachtal.
Preußisch-bayerischer Grenzstein im Holzbachtal.
Blaue Stunde: Die Nacht bricht herein, Fledermäuse und Rehe leisten dem Autor Gesellschaft.
Blaue Stunde: Die Nacht bricht herein, Fledermäuse und Rehe leisten dem Autor Gesellschaft.
Blick auf die Preußischen Berg kurz vor Burg Lichtenberg.
Blick auf die Preußischen Berg kurz vor Burg Lichtenberg.
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