Rheinpfalz Die Brisanz der defekten Bolzen

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Philippsburg. Seit 20. Dezember ist der Block 2 des Kernkraftwerks Philippsburg vom Netz. Zuvor waren defekte Gewindebolzen im Notkühlsystem entdeckt worden – bei einem Störfall hätten die Schäden möglicherweise fatale Folgen haben können. Der Betreiber des Kraftwerks, der Karlsruher Energiekonzern EnBW, muss derzeit einen umfangreichen Fragenkatalog des baden-württembergischen Umweltministeriums abarbeiten.

Betroffen ist ein Anlagegebäude, in dem sich die vier unabhängig von einander arbeitenden Notspeisesysteme für den Reaktor befinden: Sie kommen nur bei Bedarf zum Einsatz und können zur zusätzlichen Kühlung des Reaktors eingesetzt werden. Zunächst waren am 20. Dezember im Rahmen einer Routinekontrolle bei zwei dieser Systeme defekte Halterungen von Lüftungskanälen entdeckt worden. Eine Woche später gab EnBW bekannt, dass Instandsetzungsarbeiten an den Lüftungsanlagen aller vier Notkühlsysteme erforderlich seien. Das Stuttgarter Umweltministerium wies am gleichen Tag eher beiläufig am Ende einer Pressemitteilung auf die Dramatik dieser Mängel hin: „Bei schweren Erschütterungen (Erdbeben oder Flugzeugabsturz) würden möglicherweise alle vier Notspeisesysteme in ihrer Funktion (Kühlung des Reaktors) beeinträchtigt.“ Vergangene Woche wurden diese Zweifel an der Erdbebensicherheit des Reaktors noch einmal deutlich thematisiert, als die Informationskommission für das Kernkraftwerk Philippsburg tagte. Dieses Gremium tritt in der Regel drei Mal im Jahr zusammen, auf den öffentlichen Sitzungen können sich Bürger von Vertretern der EnBW und der Behörden über Sicherheitsfragen unterrichten lassen. Der Leiter der Atomaufsicht im Umweltministerium, Gerrit Niehaus, warnte auf der Sitzung einerseits vor hysterischen Reaktionen. Er sagte jedoch auch, es müsse davon ausgegangenen werden, das sowohl die Bevölkerung als auch die Aufsichtsbehörde im Falle eines Flugzeugabsturzes oder Erdbebens bisher von einer Sicherheit ausgingen, die so nicht gegeben war. Offenbar wurden auch Umweltverbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) erst durch die Sitzung der Infokommission auf die Brisanz der defekten Gewindebolzen aufmerksam. Der Vorgang mache das „unverantwortbare Restrisiko der Atomenergienutzung“ erneut deutlich, sagte vergangene Woche Harry Block, Mitglied des Vorstands des BUND-Regionalverbands Mittlerer Oberrhein. Bekannt ist bisher dies: Die Lüftungsanlagen der Notkühlsysteme befinden sich im Bereich der Gebäudedecke; diese Konstruktion berücksichtigt, wie EnBW mittlerweile einräumte, „Gebäudeschwingungen nicht ausreichend“. Deshalb komme es dazu, dass in diesem Teil des Gebäudes die Decke an einzelnen Stellen auf den Halterungen der Lüftung aufliegt und diese schädigt. Wegen der Brandschutzverkleidungen habe man das Problem nicht schon früher bemerkt. Inzwischen hat sich herausgesellt, dass die Beseitigung der Schäden mehrere Wochen in Anspruch nimmt. EnBW hat deshalb die eigentlich für Sommer vorgesehene Jahresrevision des Reaktors vorgezogen. Der durch die Bolzen-Panne erzwungene Stillstand des Atomkraftwerks wird also genutzt, um die turnusmäßig anfallenden umfangreichen Prüf- und Instandhaltungsmaßnahmen jetzt schon abzuarbeiten. Nach derzeitigem Stand sei geplant, die Anlage am 30. März wieder anzufahren, sagte ein EnBW-Sprecher. Das von Franz Untersteller (Grüne) geführte Stuttgarter Umweltministerium legt sich indes nicht auf einen Termin fest: „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit, wir lassen uns Zeit“, sagte ein Ministeriumssprecher. Der Betreiber EnBW müsse einen umfangreichen Fragekatalog abarbeiten, der sicherstellen solle, dass es anderswo im Kraftwerk nicht vergleichbare Mängel mit solchen Halterungen gebe: „Wenn die Antworten vorliegen, werden wir sie genau prüfen.“ Block 2 des Atomkraftwerks Philippsburg ging 1984 in Betrieb, er soll noch bis maximal Ende 2019 Strom produzieren. Block 1 war im Zuge des bundesweiten Atomausstiegs bereits 2011 abgeschaltet worden. Nach Angaben der EnBW deckt Block 2 derzeit etwa ein Sechstel des Strombedarfs in Baden-Württemberg. Einwurf |ros/mele

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