Rheinland-Pfalz „Der Fels ist der Chef“

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ST. GOARSHAUSEN. Sie kommen immer. Selbst im Winter, wenn der Himmel kein bisschen Romantik verspricht und die Gastronomie verrammelt ist: Wanderer oder Touristen, die der Loreley einen Kurzbesuch abstatten. Doch manche laufen an der bewaldeten Felskante entlang von einer Aussichtsstelle zur nächsten und fragen, wo denn die Loreley nun sei? Die Frau mit dem Kamm sitzt weit unten an der Spitze der Hafenmole von St. Goarshausen – in Bronze gegossen. Oben auf dem Felsen hat der Rotary Club einen Sitz gestiftet, auf dem sich Nachwuchsschönheiten ausprobieren können. Eine wenig ins Auge fallende Steinskulptur steht im Garten des in die Jahre gekommenen Hotels nahe der Felskante. In einigen Jahren könnten Besucher von einer zentralen Empfangszone aus durch einen Landschaftspark geführt werden, rechts und links wäre der Weg von kristallförmigen gläsernen Pavillons gesäumt, in denen der Mythos Loreley aufgearbeitet wird. Dieser Weg würde in eine hohle Gasse münden, für die ein Spalt in den Schieferfelsen gefräst werden müsste. Am Ende würde sich die Kante des Felsplateaus breit öffnen und den spektakulären Blick auf das Rheintal freigeben. So schlagen es die Erfurter Planer Baukonsult-Knab, Plandrei, Pohl und Wilke vor, die jüngst als Sieger des Ideenwettbewerbs zur Umgestaltung des Loreley-Plateaus hervorgegangen sind. Der Zweitplatzierte sieht keinen Spalt, aber ein Besucherzentrum recht weit vorne vor. Ursula Knabe, die Geschäftsführerin der Initiative Baukultur für das Welterbe Oberes Mittelrheintal, sagte, der Siegerentwurf würde die Loreley am eindrucksvollsten inszenieren. „Der Fels ist der Chef“, bringt sie dessen Bedeutung auf den Punkt. Ulrich Kleemann, Leiter der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord in Koblenz, in der die Arbeiten des Ideenwettbewerbs ausgestellt sind, erinnert an die Malereien von William Turner im frühen 19. Jahrhundert. Auf denen seien der Fels und die Felskante so gut zur Geltung gekommen. Aus dieser Zeit, in der es für Schiffer noch sehr gefährlich war, das enge Tal zu passieren, stammt auch Heinrich Heines Loreley-Lied. „Es muss etwas passieren“, sagen alle, die als Landes- oder Kommunalpolitiker und als Vertreter des seit 2002 als Unesco-Welterbe anerkannten Mittelrheintals mit der Loreley zu tun haben. Die Sanierung der Freilichtbühne ist schon seit Jahren angekündigt, öffentliche Gelder in Höhe von 5,6 Millionen Euro stehen bereit, sagt der Stadtbürgermeister von St. Goarshausen, Heinz-Peter Mertens. Wer mit dem Auto zum Felsplateau kommt, reibt sich verwundert die Augen: Fast lebensgroß stehen am Parkplatz Sandsteinfiguren aus Korea – ein Geschenk der Partnerstadt der Verbandsgemeinde St. Goarshausen. Dass der „Zivilbeamte“ und der „Militäroffizier“ eine Schutzgottheit repräsentieren, macht den Anblick nicht besser. Auch die gelbe Metallskulptur „Das Insekt“ des Künstlers Jochen Erbach will nicht so recht in die Landschaft passen. Verlassen ist das Besucherzentrum, das erst zur Weltausstellung „Expo 2000“ errichtet wurde. Die Tourismusverbände „Tal der Loreley“ und „Romantischer Rhein“ haben den Pavillon laut Mertens aufgegeben. Die Nachnutzung ist unklar. Sehr umstritten war die vor zwei Jahren eröffnete Sommerrodelbahn. „Das Weltkulturerbe ist die Verpflichtung, es vielen Menschen in der Welt zugänglich zu machen, aber nicht, einen Jahrmarkt zu betreiben“, lautete das kritische Urteil des Welterbebeauftragten, Kulturstaatssekretär Walter Schumacher (SPD). Ursula Knabe sagt schlicht „Kirmes“. Gemessen an den anderen Hässlichkeiten ist die Rodelbahn nicht die schlimmste Sünde auf dem Plateau, aber sie forcierte die Erkenntnis, dass ein Konzept für das ganze Areal nötig ist. Dies erst recht, nachdem die Pläne des norddeutschen Projektentwicklers Nidag bekanntgeworden waren. Er wollte ein Luxushotel direkt an die Felskante bauen. Das wäre mit dem Welterbestatus unvereinbar gewesen. Laut Kleemann hat der Investor das jetzt bestehende Hotel, das abgerissen werden soll, und einen großen Teil des Areals aufgekauft. Ein ganzjährig betriebenes Hotel, eine Investition im dreistelligen Millionenbereich, ist durchaus erwünscht. Deshalb sollten die Planer beim Ideenwettbewerb neben einem Verkehrskonzept für das Plateau einen Standort für das Hotel suchen und Vorschläge machen, wie ein Landschaftspark den Mythos Loreley besser zur Geltung bringen kann. 24 von 25 eingereichten Arbeiten sehen den Hotelstandort an der gleichen zurückhaltenden, dennoch attraktiven Seite des Felsens vor, sagt Knabe. In fünf Jahren könnten die Pläne realisiert werden, ist die vorsichtige Schätzung Kleemanns. Aber vorerst sind noch alle Fragen offen: Wer soll der Träger der Neugestaltung sein und in einem ersten Schritt die Grundstücke für einen mittleren Millionenbetrag übernehmen? Wer soll das weitere Geld geben, über dessen Höhe Kleemann nicht einmal Schätzungen nennen will? Bundes- und Landeszuschüsse sind im Moment allenfalls Hoffnungen. Die Kommunen vor Ort könnten mit dem Projekt überfordert sein, der Zweckverband Mittelrheintal, dem viele Kommunen und das Land angehören, könnte infrage kommen. Bis dahin werden noch viele Besucher angesichts der koreanischen Gastgeschenke und der Blockhütten mit den Aushängen der Turnerjugend, die den Weg zur Felsspitze säumen, noch häufig Heine zitieren: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.“

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