Landau Der allseits beliebte Bankräuber

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Nach dem Studium wurde er Unternehmensberater. Später flog auf, dass er schon mehrere Banken überfallen hatte. Aus der Haft getürmt, soll er auf einen neuen Raubzug gegangen sein. Nun steht der 33-Jährige in Landau vor Gericht. Nach und nach kommt heraus, was in seinem Leben passiert ist. Und welche Rolle darin eine Frau aus Frankreich spielt.

Der Angeklagte ist ein „schlaues Kerlchen“, sagt die Frau im Blazer. Sie kennt ihn aus der Mainzer Fachhochschule. Dort hat sie mit ihm Wirtschaftsrecht studiert. Und sich von ihm immer erklären lassen, was sie in den Vorlesungen nicht verstanden hatte. Es muss ganz schön viel gewesen sein. Dass der so geduldige, so hilfsbereite und so gut aussehende Student nebenbei Banken überfiel, erfuhr sie erst später. Als der schlaue Kerl eine Fahrerin für den nächsten Coup brauchte. Weil sie mitmachte, kassierte sie eine Bewährungsstrafe. Mittlerweile ist sie 35, arbeitslos und steht schon wieder vor Gericht. In Landau, als Zeugin. Denn der frühere Kommilitone soll erneut Banken überfallen haben. Trotzdem, sie mag ihn. Immer noch. Was sie nicht mag, sind die anderen Frauen in seinem Leben. Seine Mutter, eine Ärztin, die einen 40.000-Euro-Kredit aufgenommen hat, damit ihr Sohn die Versicherungen der überfallenen Banken ruhigstellen konnte. Und jene geheimnisvolle Frau aus Frankreich, die er im Auslandssemester in St. Petersburg kennengelernt und mit der er eine Tochter hat. Der Französin wegen soll er zum Verbrecher geworden sein. Als er wieder in Mainz war, wollte er sie immerzu in Paris besuchen. Doch das konnte er sich als Student nicht leisten, also überfiel er Banken. So jedenfalls steht es im Urteil des Landgerichts Koblenz, das ihm 2009 achteinhalb Jahre Haft aufbrummte. Bis es so weit war, hatte es lange gedauert. Der schlaue Kerl wählte seine Tatorte sorgfältig aus, schloss 2007 unbehelligt sein Studium ab. Und ergatterte danach eine Stelle bei einem renommierten Arbeitgeber: Der noch unerkannte Bankräuber wurde Unternehmensberater in Berlin. Brutto-Einstiegsgehalt: um die 3000 Euro. Der Firma mit dem großen Namen ist das heute ungeheuer peinlich. Sie hat den Landauer Richtern einen Brief geschickt. In dem steht, dass sich kaum jemand an den Ex-Kollegen erinnern könne. Dass er auf der untersten Hierarchie-Ebene stand. Und dass das Arbeitsverhältnis bald wieder beendet war. Der Berufsanfänger meldete sich nach wenigen Wochen krank, erschien dann nie wieder im Büro. Bis dahin allerdings schlug er sich wacker. Sein ehemaliger Büro-Genosse berichtet als Zeuge: Er startete nicht als Überflieger, aber zu allgemeiner Zufriedenheit. Und auch menschlich hat er einen guten Eindruck hinterlassen: „Nett“, so beschreibt ihn eine Sekretärin, die in ebenso legerer wie eleganter Kleidung aus Berlin angereist ist. „Ich dachte mir: Der ist viel zu nett für diesen Laden hier.“ Nett finden ihn auch viele andere, das darf der Angeklagte im Gerichtsaal zartlächelnd zur Kenntnis nehmen. Weil er einen Hafturlaub zur Flucht nutzte, führen ihn extra viele Bewacher durch den Landauer Justizpalast. Er versteht sich prächtig mit ihnen. Und zufällig des Wegs kommende Juristen wundern sich über diesen jungen Mann, der sie trotz Hand- und Fußfesseln so überaus freundlich grüßt. Im Berliner Gefängnis soll es der einstige Hürdenlauf-Jugendmeister zum Liebling der Anstaltspsychologin gebracht haben. In später angelegten Akten der Zielfahnder steht: Der Knast-Tratsch schreibe der Dame eine Schwäche für athletisch gebaute Häftlinge zu. Einige frühere Mitgefangene des Angeklagten sind als Zeugen nach Landau beordert worden. Sie haben ein ähnlich breites Kreuz wie er, aber Speck um die Hüften. Ihre Arme sind tätowiert, ihre Füße stecken in klobigen Turnschuhen. Doch auch sie mögen den stets adrett gekleideten Kerl. Deshalb wollen sie Richtern und Staatsanwälten nur wenig erzählen. Oder noch besser: überhaupt nichts. Ein Berliner Ex-Knacki behauptet glatt, den Mann auf der Anklagebank gar nicht zu kennen. Obwohl er ihn in der Verhandlungspause noch vertraut angegrinst hat. Noch weniger haben die Richter bislang nur von der geheimnisvollen Frau aus Frankreich erfahren. Sie sollte gleich am Anfang des Mammut-Prozesses aussagen, ist aber gar nicht erst erschienen: Die Behörden haben sie nicht gefunden. Dabei soll der Angeklagte ihretwegen nicht nur zum Verbrecher geworden sein, sondern auch seinen Berufseinstieg versaut haben. Im alten Koblenzer Urteil steht: Er kam nicht mehr zur Arbeit, weil sie zwar zu ihm nach Berlin gezogen war, ihn aber gleich wieder verlassen hatte. Also überfiel er wieder Banken, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Und dann, um sich Startkapital für sein neues Leben zu holen: Er wollte einen Jazzclub aufmachen. Stattdessen landete er im Gefängnis. Immerhin: Am 18. Januar 2012 um 17 Uhr durfte er in den Hafturlaub. Am 22. Januar 2012 um 17 Uhr hätte er wieder da sein müssen, um 18.07 Uhr setzten Wachleute eine „Entweichermeldung“ ab. Schon zwei Tage vorher war in Niedersachsen eine Bank überfallen worden. In den folgenden Monaten traf es sechs Geldinstitute im deutschen Südwesten. Sprechen die Landauer Richter den schlauen Kerl wegen dieser sieben Überfälle schuldig, müssen sie nicht nur entscheiden, um wie viele zusätzliche Jahre sie seine Rest-Haftzeit verlängern. Sie müssen auch sagen, ob er noch hinter Gittern bleiben soll, wenn er seine Strafe verbüßt haben wird. Vorsichtshalber, weil er so gefährlich ist. Sicherungsverwahrung, das könnte für den 33-Jährige bedeuten: Er kommt erst wieder in Freiheit, wenn sein athletischer Körper so gebrechlich geworden ist, dass er niemanden mehr bedrohen kann. Oder überhaupt nicht mehr. Die Verteidiger allerdings lassen erkennen, dass sie ihn noch nicht für überführt halten. Gegen den Angeklagten spricht unter anderem eine Pistole, die beim Überfall in Freckenfeld (Kreis Germersheim) zurückblieb. An ihr klebte sein Erbgut. Seine Anwälte finden: Diese Spur ist eine Spur zu deutlich. Sieht sie nicht aus wie extra gelegt? Um ein erstklassiges Beweisstück einfach am Tatort zu vergessen, dazu sei ihr Mandant doch ein viel zu schlauer Kerl.

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