Ludwigshafen Schulstandort Ludwigshafen: Alle zusammen statt getrennt

91-95803658.jpg

Inklusion ist ein ziemlich aufgeladener Begriff. Geht es doch darum, dass behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Funktioniert das? Wie sieht der Schulalltag aus? Ein Besuch an der Integrierten Gesamtschule (IGS) in der Gartenstadt.

„Jedes Kind erhält die Chance, den Schulabschluss zu erreichen, der seiner Begabung, seiner Leistungsfähigkeit und seinem Leistungswillen entspricht.“ So definiert die Stadt auf ihrer Homepage eine Integrierte Gesamtschule – und auf dem Weg durch die Klassenstufen fünf bis 13 werden eben Nichtbehinderte ebenso mitgenommen wie Behinderte. Inklusion – ein durchaus emotional aufgeladenes Konzept. So mancher Kritiker bezweifelt, dass Kinder hier angemessen gefördert werden können. Stimmt das? Wie sieht der Unterricht überhaupt aus, ist es laut und unruhig? Von wegen – das ist das zentrale Ergebnis nach dem Besuch in der siebten Klasse von Förderschullehrerin Bettina Grimm (55). Mathe und Deutsch stehen an diesem Donnerstagmorgen in den ersten zwei Stunden auf dem Programm. Unterstützung bekommt sie von Praktikant Tom Bauer, der in Mainz Lehramt studiert. Normalerweise sind 29 Schüler in der Klasse. Zum Matheunterricht verteilen sich aber nur 17 auf die Tische und Stühle im Saal. Die, die hier versammelt sind, zählen zum Basiskurs. Die anderen zwölf, die Begabteren, sind in einem anderen Saal, machen beim Känguru-Wettbewerb (einem Mathe-Test) mit. Dass nicht alle Schüler da sind, ist für niemand ein Thema. Grimm hat an den einzelnen Tischen Aufgaben zum Thema Dreiecksarten vorbereitet. In kleinen Gruppen beginnen die Schüler, die gestellten Aufgaben zu lösen. Es ist ziemlich ruhig, die Schüler sind recht konzentriert. Die 55-Jährige geht offen mit ihren Schülern um. Sie erklärt: „Hier sind drei Lernbehinderte und eine geistig Behinderte dabei.“ Wer das ist, erkennt man nicht. Und genau das ist die Aufgabe des inklusiven Unterrichts. Die Herausforderung für die Lehrerin: „Ich muss alle mitnehmen.“ Damit das klappt, sind die Aufgaben für die Schüler unterschiedlich schwer – und Grimm sowie Bauer greifen punktuell ein. Sie sprechen über die Aufgaben, geben Tipps. Klassischer Frontalunterricht geht eben nicht beim inklusiven Förderunterricht. Petra Fischer-Wolfert (48), Didaktische Koordinatorin der IGS Gartenstadt, sieht die große Herausforderung bei der Sprache: „Viele sprechen sehr schlecht Deutsch und verstehen kaum etwas.“ Die deutschen Familien hätten zwar einen Vorteil, aber auch hier gebe es Probleme. Man merke es einfach, wenn im Elternhaus nicht vorgelesen oder wenig miteinander gesprochen werde. Die Kinder hätten dann Probleme, Texte oder Arbeitsanweisungen zu verstehen. „Die Förderung müsste eigentlich schon in der Kita ansetzen“, sagt Fischer-Wolfert. Man müsse früh in Familien tätig werden: „Kinder brauchen Angebote wie Bücher, nicht nur Fernsehen. Wenn man so etwas auch in Migrantenfamilien trägt, hebt man das sprachliche Niveau, in Deutsch und auch in der Muttersprache.“ Damit die IGS ihre Aufgabe erfüllen könne, „müssen alle Professionen zusammenarbeiten“, betont Fischer-Wolfert: also Förderschullehrer, Hauptschullehrer, Realschullehrer, Gymnasiallehrer und Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen. Die beiden Lehrer sind vom umfassenden Konzept überzeugt und leben diesen Ansatz vor. „Eine Klasse begreift sich als ein großes Team, trotz der Unterschiede“, betont Grimm. Ihr Unterricht ist ein Beleg für diese Aussage. Während der Mathestunde schielen die Schüler nie auf die Tische der anderen. Jeder meistert eben das, was ihm vorgelegt worden ist – ohne Gemurre und Neid. „Eine Förderlehrerin braucht vor allem einen guten Blick. Sie muss erkennen, wer Unterstützung braucht“, erklärt Fischer-Wolfert. Die Mathestunde ist vorbei, die Tür geht auf. Jetzt kommen die „Känguru“-Teilnehmer dazu. Auch das geschieht ganz unaufgeregt. Alle suchen sich ihren Platz. Es werden erst ein paar organisatorische Dinge geklärt, dann geht’s mit Deutsch weiter. Thema heute: Zeitangaben. Grimm ließt mit Tom Bauer einen Text vor. Die Schüler müssen Zeitangaben erkennen und notieren. Dann wird diskutiert, wann schreibt man das Wort „Morgen“ groß, wann klein. Wieder gehen beide bei den kleinen Übungen von Tisch zu Tisch, helfen den Kindern, sodass für Beobachter einfach nicht zu erkennen ist: Wer ist hier Förderschulkind und wer nicht? Das gilt sogar für das geistig behinderte Mädchen, für das diese Stunde zu knifflig ist. Grimm gibt ihm fix eigene Materialien. Das Mädchen geht zurück an seinen Platz und arbeitet akribisch. Es stört sich nicht an den anderen, und die anderen lassen sie auch in Ruhe. So soll Inklusion sein: ein Miteinander von allen, ohne große Aufregung. Praktikant Bauer ist völlig begeistert von seinen Erfahrungen: „Es ist interessant, wie hier auf jeden eingegangen wird, obwohl wir in einem Klassenverbund sind.“ Für den Neuhofener besonders spannend: „Wie erkläre ich einem Förderschulkind etwas, denn ich will ja das Gefühl vermitteln, dass es ganz normal ist.“ Er überlegt und fasst dann seine Eindrücke in einem Satz zusammen: „Man braucht zwar Samthandschuhe, aber eben nicht zu viel davon.“ Leserforum Mailen Sie uns Ihre Meinung an redlud@rheinpfalz.de. Am Montag: Reaktionen und ein Leitartikel zum Thema .

91-95803659.jpg
Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x