Grünstadt Regine Wagner hat einen Lebenslauf mit vielen Wendungen

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Porträt: Mit 51 Jahren noch mal die Schulbank drücken, Arbeiten schreiben und Prüfungen machen? Für viele ist das unvorstellbar. Regine Wagner aus Hettenleidelheim hat das getan. Und gibt damit ein Beispiel dafür, was lebenslanges Lernen bedeutet.

Das Jahr 2012 brachte für Regine Wagner gleich in zweierlei Hinsicht einen Neuanfang mit sich: Privat hatte es die gebürtige Potsdamerin in die Vorderpfalz gezogen, beruflich war sie auf der Suche nach einer Stelle als pädagogische Hilfskraft. Auf ihre zahlreichen Bewerbungen bei den Kindertagesstätten im Leiningerland hin meldete sich schließlich das Haus des Kindes in Grünstadt. „Bei einem Praktikum hat sich gezeigt, dass es passt, ich bekam einen Vertrag“, erzählt Wagner. Nachdem dieser aber nur dreimal verlängert werden konnte und sie dann arbeitslos geworden wäre, habe sie sich dazu entschieden, noch mal in die Schule zu gehen. Seit September 2014 macht Regine Wagner im Haus des Kindes eine Ausbildung in Teilzeit als Erzieherin. Im Juni wird sie diese mit einem Abschlusskolloquium an der BBS Ludwigshafen beendet haben. Drei Tage arbeiten in der Kita, zwei Tage Schule: Das sei für sie okay, sagt die 51-Jährige. Sie habe noch manches Neue dazugelernt und sei mit vielen Menschen in Berührung gekommen. Allerdings verhehlt sie nicht, dass es ihr lieber gewesen wäre, wenn die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) sie zur sogenannten Nichtschüler-Prüfung zugelassen hätte. Dann hätte sie sich den Stoff für die Prüfung selbst aneignen müssen, ohne eine Schule zu besuchen. Ihren Antrag dazu habe die ADD allerdings abgelehnt, obwohl sie bereits eine Ausbildung und ein Universitätsstudium abgeschlossen habe. Der diffuse Begriff vom „lebenslangen Lernen“, der in Broschüren vom Arbeitsamt und Karriere-Ratgebern herumgeistert: Wer sich den Bildungsweg von Regine Wagner anschaut, bekommt eine Ahnung davon, was das konkret heißen könnte. Wagner wird 1965 in Potsdam/Babelsberg in der damaligen DDR geboren und geht in Babelsberg zur Schule. Wie damals üblich, bestimmt das sozialistische Regime, wer Abitur machen und studieren darf. Wagner bleibt dies verwehrt, obwohl sie gute Noten hat. Sie habe versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Dafür bekommt sie einen Ausbildungsvertrag als Facharbeiter für Betriebs-Mess-Steuer- und Regeltechnik. „Ich war technisch interessiert und das Gute war, dass kein Schulabgänger ohne Lehrvertrag blieb. Das gab es in der DDR einfach nicht“, erzählt die 51-Jährige. Nachdem ihr erstes Kind geboren war, sei sie mit ihrem Wunsch, Teilzeit arbeiten zu können, gescheitert. Sie habe gekündigt – „das war in der DDR ein No go“ – und sich dann eine Stelle als pädagogische Hilfskraft in einer Kita gesucht. Als diese nach der Wende in private Trägerschaft überging, ging sie, bevor sie gekündigt wurde. Inzwischen hatte Wagner noch zwei Kinder bekommen. Nach einer Umschulung zur Landschaftsgärtnerin kam bei ihr der große Frust: „Damals fühlte ich mich geistig total unterfordert. Ich hatte das Gefühl, ich musste was ändern“, schildert die zierliche Frau ihre Situation. Am Abendgymnasium holt sie mit 38 Jahren ihr Abitur nach und studiert an der Uni Potsdam die Fächer Chemie und Arbeitslehre Technik für Gymnasien. Sie macht das erste Staatsexamen. Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich mit einem 400-Euro-Job bei einer Putzfirma, daneben bekommt sie Bafög. Wie sie das mit den Kindern und dem Haushalt geschafft hat? Ihr ältester Sohn (damals 15 Jahre) sei sehr selbstständig gewesen. Die mittlere Tochter (zwölf Jahre) habe Leistungssport gemacht und sei nachmittags eh spät nach Hause gekommen, ihre neunjährige Tochter ging nach der Schule in den Hort. „Wir sind alle an der Situation enorm gewachsen und noch enger zusammengerückt“, erklärt Wagner. „Es gab aber auch schwierige Phasen, die gemeistert werden mussten.“ Sie habe aber jeden Schritt mit ihren Kindern besprochen und dann gemeinsam beschlossen, zum Beispiel was das Studieren betraf. „Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, es tut den Kindern nicht gut, hätte ich sofort abgebrochen“, stellt sie klar. Mit der Berufsausbildung im Rücken und als älterer Mensch habe sie sehr viel fokussierter studiert, als ihre jüngeren Studienkollegen. „Ich wusste, was ich will und bin den Weg zielstrebig gegangen.“ Nach dem Studium zieht es die Potsdamerin aus privaten Gründen in die Pfalz. „Ein Lauftreff, ein Chor und die offene Pfälzer Mentalität haben es mir hier einfach gemacht, mich einzugewöhnen“, sagt Wagner. Allerdings lassen sich ihre beruflichen Pläne zunächst nicht verwirklichen. Da das Fach Arbeitslehre Technik an reinen Gymnasien in Rheinland-Pfalz nicht unterrichtet wird, scheitern ihre Bewerbungen um ein Referendariat, die sie 2012 bereits von Potsdam aus an die ADD schickt. Auch an der Realschule bekommt sie keine Zulassung. Plan B: Die Bewerbung als pädagogische Fachkraft bei den Kindertagesstätten. Auch wenn Wagner, die in ihrer Freizeit Marathon und Ultra-Marathon läuft, froh ist, dass sie im Sommer ihren Abschluss als Erzieherin in der Tasche hat, ihren Traum hat sie noch nicht aufgegeben: „Ich bin noch nicht da angekommen, wo ich hin will. Eigentlich möchte ich in die Schule und Kinder unterrichten.“ Kontakt Neues Jahr, neues Glück: Kennen Sie auch jemanden, der einen Neuanfang gewagt hat? Oder haben Sie selbst privat, beruflich oder im Leben nochmal neu angefangen? Melden Sie sich unter Telefon 06359/933023 oder per E-Mail an die Adresse redgru@rheinpfalz.de

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