Bad Dürkheim Online-Marktplatz in der Nachbarschaft

91-97082753.jpg

Hintergrund: Die Stadtgesellschaft wird anonymer. Auch in Dürkheim gibt es immer mehr Menschen, die ihre Nachbarn nicht mehr kennen. Das soll sich wieder ändern, findet Katharina Schütz aus Seebach. Sie nutzt das soziale Netzwerk nebenan.de, um in Kontakt mit Dürkheimern zu kommen. Viele folgten ihrem Beispiel zuletzt.

Das digitale Zeitalter macht es möglich, dass wir mit der ganzen Welt vernetzt sind. Wen wir dabei vergessen haben, das sind jene Menschen, die uns räumlich eigentlich am nächsten sind. Die Bohrmaschine vom Nachbarn, das Päckchen Butter von der Nachbarin – früher borgte man sich sowas mal im Notfall. Heute kennt man die Leute von nebenan mitunter nicht mal mehr mit Namen und den meisten ist es inzwischen wohl eher zu peinlich, einfach an der Türe zu klingeln und sich vorzustellen. Der DHL-Paketbote ist vielen heute vertrauter als die Seniorin im Stock obendrüber. Als Katharina Schütz mit ihrem Gatten und inzwischen zwei kleinen Kindern im Jahr 2014 nach Seebach zog, kannte sie dort niemanden. Zwar sei ihr Mann gebürtiger Dürkheimer, sie selbst komme aber aus Rheinhessen und sei insofern fremd. Es gibt unheimlich viele junge Pärchen, hat sie festgestellt, aber auf den Spielplätzen treffe man kaum jemanden, sagt sie. Die 34-Jährige will aber in Kontakt sein mit Menschen, die in ihrer Nähe wohnen und hat deshalb die Initiative ergriffen und hat auf dem sozialen Netzwerk nebenan.de die „Nachbarschaft“ Seebach gegründet. Der Online-Dienst sieht sich selbst als kleinen Marktplatz für ein Stadtviertel oder für einen Straßenzug. Das Angebot ist kostenlos und soll es nach Darstellung der Mitgründerin Ina Brunk aus Berlin auch bleiben. „Wer kann auf mein Kind aufpassen, wenn ich einkaufen gehe?“ „Wer kann sich für gemeinsame Mountainbike-Touren begeistern?“ „Wer bildet mit mir eine Fahrgemeinschaft?“ „Wer hat Lust auf gemeinsames Gassi-Gehen?“ „Wer hat Lust auf Schorle?“ All das sind Fragestellungen im Mikrokosmos Nachbarschaft. In dieser Woche wurden Zettel in Briefkästen geworfen, auf denen ein Code zu finden ist, mit dem man sich auf der Webseite anmelden kann. Alleine in den vergangenen Tagen vier Tagen haben das zwei Dutzend Leute getan. 79 „Nachbarn“ gab es gestern in Seebach, 45 waren gestern in Grethen/Hardenburg /Hausen angemeldet, 26 in der Innenstadt. – rund 150 insgesamt. Die Nachbarschaft in der Innenstadt wurde von Sven Helfrich im Finkenpfad gegründet. Früher, sagt der 40-Jährige, habe er die meisten Menschen in seiner direkten Umgebung gekannt, inzwischen sei er froh, wenn er noch zehn Nachbarn kennt. Er interessiert sich für Aquaristik und zu seinem GTI-Club muss er bis nach Stuttgart fahren. Er hofft auf Gleichgesinnte. Skatspieler hätten sich in der neuen „Nachbarschaft“ schnell zusammengefunden. Jeder Nutzer muss sich mit seinem richtigen Namen und der echten Adresse auf der Plattform anmelden. Einladungs-Links können von bereits registrierten Nutzern verschickt werden. Wer sich bei einem sozialen Netzwerk registriert, denkt schnell an Facebook. Tatsächlich gibt es bei nebenan.de ähnliche Funktionen. Der Gefällt-mir-Button ist hier ein Danke-Knopf. Insgesamt wirkt die Aufmachung aber freundlicher. Die Plattform könnte die kleine freundliche Schwester des großen Netzwerkes sein. Weil man es mit Leuten aus der direkten Umgebung zu tun hat, unterbleiben Hasskommentare in der Tendenz eher als in der Anonymität des Internet-Giganten aus den USA. „Das scheint einen Nerv zu treffen“, glaubt Schütz. Nebenan-Gründerin Brunk spricht von bundesweit inzwischen 3000 Nachbarschaften. Facebook sei ein Netzwerk für Menschen, die sich bereits kennen, das sei bei nebenan.de anders. „Wir wollen Leute nicht dauerhaft ins Netz ziehen, wir wollen, dass sie sich im realen Leben begegnen und bieten ihnen nur die Infrastruktur des Kennenlernens an“, sagt sie. „Nett, ehrlich, hilfsbereit“ – das sei das Motiv. Aber: Es geht langfristig nicht nur um Nächstenliebe, sondern auch ums Geld verdienen. „Wir planen langfristig kostenpflichtige Profile für kleine Geschäfte in der Nachbarschaft, auf denen sie für sich werben können“, sagt Brunk. So seien die lokalen Läden nicht mehr darauf angewiesen, mit Flyern im Briefkasten zu werben. Das Netzwerk will Menschen in einer Zeit näher zusammenbringen, in der Vereinen die Mitglieder ausgehen, sich Familienstrukturen auflösen und Single-Haushalte unheimlich zunehmen. Die Vereinzelung schreitet fort. „Das liegt natürlich auch an unserer Lebensweise“, weiß Katharina Schütz. Sie hofft, dass sich viele Nachbarn in Seebach zusammenfinden. Klar hätte sie auch in den Festausschuss gehen können, um Leute kennenzulernen, aber dafür habe sie vielleicht doch nicht genug Zeit, sagt sie. Stattdessen hat sie jetzt Kinderklamotten abzugeben. Vielleicht will sie jemand aus der Nachbarschaft ...

91-97082754.jpg
x