Studie fordert: Kein Geld mehr für abgelegene Gebiete auf dem Land – Ein Beispiel aus dem Kreis Kusel „Das ist noch ein Tabuthema“

Mainz/Unterjeckenbach. Abreißen und der Natur überlassen – dieser Gedanke mag schon so manchem Politiker gekommen sein, wenn er Dörfer in Hunsrück und Westpfalz gesehen hat, die rapide an Einwohnern verlieren. Öffentlich würden Politiker so etwas kaum sagen. Dafür tun es die Wissenschaftler vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Sie sehen keinen Sinn darin, Geld in Gegenden zu investieren, in denen es immer weniger Menschen gibt.


In solchen Regionen sollte man getrost auch mal Dörfer aufgeben, sagen die Experten und sorgen damit (noch) für Empörung bei Politikern und Parteien. Als einen von vier Brennpunkten in Deutschland nennen die Berliner Wissenschaftler in ihren Untersuchungen das westliche Rheinland-Pfalz. Unterjeckenbach im Kreis Kusel gehört zu den Dörfern, die die Berliner meinen. Vor 20 Jahren hatte der Ort in der Verbandsgemeinde Lauterecken noch 140 Einwohner, inzwischen ist er auf die Hälfte geschrumpft. Geht es in diesem Tempo weiter, ist die Gemeinde in 20 Jahren nicht mehr da. „Wir haben keine Chance“, sagt Ortsbürgermeister Christian Michel. Auch seine Söhne wohnen längst nicht mehr im Dorf. Hier gibt es keine Arbeitsplätze, keinen Kindergarten, keine Schule, kein Gasthaus, keine Läden. Wer etwas braucht, muss mit dem Auto nach Lauterecken fahren. Wer kein Auto hat, muss das Ruftaxi holen. Außer dem Schulbus morgens und nachmittags gibt es keine regelmäßige Busverbindung. Sie würde sich für die wenigen Unterjeckenbacher auch nicht lohnen. Die Randlage in der Westpfalz ist das Kernproblem des Ortes. Auf der einen Seite ist man blockiert durch einen Truppenübungsplatz der Amerikaner, durch den keine öffentliche Straße führt. Auf der anderen Seite ist die nächste Großstadt, Kaiserslautern, zu weit entfernt. Eine knappe Stunde braucht man mit dem Auto bis dorthin. Auch dies ist damit ein gutes Beispiel für die Thesen des Berlin-Instituts: Dörfer, die weiter als 40 Fahrminuten zum nächsten Oberzentrum entfernt sind, verlieren demnach drastisch Einwohner. Was eine Stunde entfernt ist, werde die nächsten 50 Jahre nicht überleben. Die Menschen ziehen in die Großstädte oder in deren sogenannte Speckgürtel, das heißt: Dörfer und Kleinzentren, die nicht weiter als 30 Kilometer von einem Zentrum entfernt sind. Alle andern werden es schwer haben. Und für diese Orte wird sich die Frage stellen, ob man für so wenige Einwohner noch die gesamte Infrastruktur wie Energie, Abwasserentsorgung oder Internetanschluss vorhalten soll. Die Antwort der Berliner Studie heißt „Nein“. „Für Orte, in denen nur noch wenige Bewohner zurückbleiben, sollten rechtzeitig Programme entwickelt werden, die umzugswillige Menschen dabei unterstützen, ihren Wohnsitz in stadtnähere Orte zu verlegen“, heißt die Schlussfolgerung der Berliner und „es sollte ein Fonds gegründet werden, der den Rückbau von Dörfern und den Abriss von Schrottimmobilien unterstützt“. Ganz konkret und politisch brisant ist die Forderung, die Geldverschwendung für Neubaugebiete in „kleinen Dörfern in Schrumpfungsgebieten“ zu stoppen.  Kein Geld mehr, umziehen, abreißen – für die Politiker sind diese radikalen Forderungen vorläufig noch zu starker Tobak. Als Rainer Klingholz vom Berlin-Institut zuletzt seine Vorschläge der Enquete-Kommission des Landes Mecklenburg-Vorpommern auf den Tisch legte, war die Empörung dort groß. Ähnlich sieht es in Rheinland-Pfalz aus, wo immer noch ein Drittel der Bevölkerung in ländlichen Gemeinden wohnt. Entsprechend wehrt sich die Landesregierung mit Händen und Füßen gegen die Thesen aus Berlin. Diese stehen für das rheinland-pfälzische Innenministerium „im völligen Widerspruch zur Politik der Landesregierung, die sich seit vielen Jahren erfolgreich darum bemüht, die ländlichen Räume so zu gestalten, dass sie auch in Zukunft lebenswert und belebt sind“.  Davon hat man allerdings in Unterjeckenbach nicht viel gemerkt. Aus Mainz gab es mal einen bescheidenen Zuschuss für die kleine Maschinenhalle. Sonst kann sich der Bürgermeister an keine besonderen Anstrengungen der Landesregierung erinnern. Im Dorf selbst gibt es auch wenig Impulse. Einen Nebenerwerbslandwirt gibt es noch, der Schäfer hat vor kurzem aufgegeben. Eine Familie ist hergekommen, um in Unterjeckenbach ihre Pferde zu weiden. Ein Belgier hat ein Haus gekauft und ist alle paar Wochenenden mal da. Ansonsten sind die Immobilienpreise auf ein Drittel gesunken, und in den andern kleinen Dörfern der Westpfalz sieht es ähnlich aus.  Wie man diesen Trend umkehren soll, weiß Bürgermeister Christian Michel nicht. Er glaubt allerdings auch nicht, dass die Landesregierung es weiß, und deswegen gibt er den Thesen des Berlin-Instituts in vielem recht. „Man muss den Leuten reinen Wein einschenken“, sagt Michel und fügt hinzu: „Das ist noch ein Tabuthema und wird von der Politik nicht angerührt.“ Für die sogenannte große Politik mag das zutreffen. Auf der unteren Ebene, in den Gemeinden, die Jahr für Jahr Einwohner verlieren, beginnt sich eine andere Erkenntnis durchzusetzen: Längst nicht jedes Dorf hat offenbar eine Zukunft. Info www.berlin-institut.org (Publikationen)

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