Rheinpfalz Das Testament der Filmlegende

oliveira-filmweb.jpg

Der Regisseur, der schon zu Lebzeiten nicht zu toppen war, sorgt auch nach seinem Tod (er starb am 2. April dieses Jahres im Alter von 106 Jahren; mit 23 drehte er den ersten Film, mit 105 den letzten, als einzigem Regisseur der Welt wurde ihm eine zweitägige Staatstrauer zuteil) für die schönste Überraschung: In Cannes war sein filmisches Testament zu sehen, ein Selbstporträt in und mit dem Haus, in der er vier Jahrzehnte lebte.

Als der Portugiese Manoel de Oliveira 1982 „Visita o memorias e confissões“ (Der Besuch oder Erinnerungen und Bekenntnisse) drehte, war er 73 Jahre alt, hatte aber gerade (als Opfer der politischen Zensur) erst sechs lange und elf kurze Filme gedreht. Dass noch 33 Lebensjahre und 41 Filme folgen sollten, hatte er damals wohl selbst nicht erwartet. Aber er verfügte damals schon, dass das ungewöhnliche 68-Minuten-Porträt erst nach seinem Tod gezeigt werden darf. Der Blick in das Haus in Porto, in dem er 40 Jahre lang lebte und arbeitet, bis er es aus finanziellen Gründen verkaufte, ist mit dem Augen des Besuchers gefilmt, als hätte der eine Kamera auf dem Kopf und schreitet langsam durch die Räume. Es ist heimelig, mit Parkett, alten dunklen Holzmöbeln, Gemälden, Foto und im ersten Stock einem Schreibtisch, an dem Oliveira sitzt und in die mechanische Schreibmaschine tippt. Für den Besucher hält er inne, erzählt dass 1908 geboren ist, Filme dreht und geht bald schon ins nächste Zimmer, um den Super-8-Projektor anzuwerfen und einige Filmausschnitte zu zeigen, schwarzweiße Homemovies mit dem kleinen Manoel und seinen Eltern, beim Spielen und Fahrradfahren. Wenn er von seiner Lebensgeschichte erzählt, dann erfährt man nebenbei auch viel von der Kultur Portugals, den Filmemacher, den Malern, den Architekten und Literaten. Portugal. Auf die Ausschnitte folgen Blicke in weitere Zimmer, ein erneuter Monolog von Oliveira, in dem er von seinen Erfahrungen als Regisseur berichtet und seine Philosophie erläutert. Demnach glaubte der katholische Christ an die Jungfräulichkeit, aber nicht unbedingt an die Enthaltsamkeit, ist zu erfahren. Auch Archivmaterial gibt es, so drehte Oliveira in Lissabon in den Atelier der deutschen Firma Tobis. Man sieht Fotos von seiner Frau und seinen vier Kindern, aber in Persona tritt nur Oliveira auf. Nicht ohne Stolz zählt er auf, wer (bis 1982 wohlgemerkt, als er jenseits von Portugal noch gar nicht so richtig bekannt war) bei ihm im Haus zu Besuch war: der französische Filmtheoretiker André Bazin gehört dazu und als einzige Deutsche das Cinéasten-Ehepaar Erika und Ulrich Gregor (Leiter des Forums der Berlinale 1980-2000), das auch bei dieser bis auf den letzten Platz gefüllten Spezialvorführung des Festivals von Cannes dabei waren. „Visita“ ist ein altmodischer Film, ein langsamer Film, ein Film, der sich Zeit lässt für Details, die wichtig sind. Das gilt für die Kamerafahrten und für Oliveira selbst, der langsam, deutlich und in einfachen Worten seine doch sehr komplexe Philosophie erläutert – und damals schon an seinem Mythos arbeitete. Der wird durch diesen Film noch ein bisschen größer werden, denn wie es sich für diesen einzigartigen Regisseur gehört, der als letzter Regisseur von der Stummfilmzeit bis heute über neun Jahrzehnte kontinuierlich arbeitete, soll auch sein filmisches Testament, das - wie es sich gehört, nicht digitalisiert wurde, sondern auf in der einzigen 35-mm-Kopie gezeigt wird, die es von dem Film gib – nur wenige Vorführungen bekommen. So wird dieser Film wie sein Regisseur auch bald Legende sein.

oliveiraweb.jpg
x