Politik Wenn Grüne sich nicht grün sind

Hans-Christian Ströbele hat es seinen grünen Parteifreunden nie leicht gemacht. Er ist oder besser war ein Parlamentarier mit Herz und Seele, der seine Unabhängigkeit auch gegenüber der eigenen Partei gezeigt hat. Doch ohne ihn, den sie scherzhaft „König von Kreuzberg“ nennen, obwohl er dort nie gelebt hat, hätten die Grünen bis heute kein einziges Direktmandat im Bundestag. Das will nun seine Nachfolgerin Canan Bayram verteidigen. Auch die 51-jährige Rechtsanwältin hat schon häufiger bewiesen, dass sie ähnlich unangepasst wie Ströbele ihren Weg geht. Jetzt bringt die Parteilinke gerade den Realo-Flügel gegen sich auf. In einem Schreiben an die Wahlberechtigten in Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer-Berg-Ost (Wahlkreis 83) weist die Kandidatin auf die Bedeutung der Erststimme hin: „Sie können also Canan Bayram ankreuzen, selbst wenn sie einer anderen Partei nahestehen und diese wählen.“ An anderer Stelle betont sie: „Bei Abstimmungen werde ich zuallererst im Sinne der Einwohner/innen … handeln.“ Damit distanziere sie sich von der Bundespartei, sagen führende Grüne in Berlin. Auch das inzwischen im Kiez weit verbreitete Wahlplakat ihres Kreisverbandes Friedrichshain-Kreuzberg mit einer alten Parole der Hausbesetzer-Bewegung „Die Häuser denen, die drin wohnen“ sorgt weiterhin für Unmut. Es bezieht sich auf die Forderung, allzu profitgierige Eigentümer, die mit Wohnraum spekulieren, auch enteignen zu können. Der grüne Bundesverband distanzierte sich umgehend und teilte mit, diese Position nicht zu teilen. Die am Niederrhein aufgewachsene Juristin kurdisch-türkischer Abstammung wies die Kritik zurück: Sie sei vor allem ihren Wählern verpflichtet, und da höre sie nicht nur Gutes über die immer bürgerlicher gewordene Öko-Partei. Bayram sei „echt nicht wählbar“, giftete der frühere Fraktionschef im Abgeordnetenhaus Volker Ratzmann in einem parteiinternen E-Mail-Verteiler, den Berliner Blätter jetzt öffentlich gemacht haben. Der Realo schrieb in Bezug auf Bayram: „Dass die auch noch Renate rauskegelt, das darf echt nicht passieren.“ Gemeint ist die Ex-Bundesministerin Renate Künast, deren Einzug über Listenplatz 3 nach den jüngsten Umfragen (nur noch zehn Prozent für die Grünen in der Hauptstadt) arg gefährdet ist – sollte Bayram das Direktmandat gewinnen, das Ströbele seit 2002 verteidigte.

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