Rheinpfalz Katalonien und die Unabhängigkeit: Stolz und Vorurteil

Seit dem von der Polizei massiv gestörten illegalen Unabhängigkeitsreferendum kommt Katalonien nicht zur Ruhe: Demonstranten in
Demonstranten in Barcelona

Was ist nur mit den Katalanen los? Woher kommt all die Unversöhnlichkeit zwischen Anhängern und Gegnern der Unabhängigkeit? Eine Erkundung vor Ort.

Das wird brenzlig: Tausende drängen sich vor dem Hauptquartier der Policía Nacional an der Via Laietana. Sie schieben sich nach vorne, gegen die Einsatzwagen der nationalen Polizei, die den Haupteingang wie Prellböcke gegen die anbrandende Masse schützen sollen. Unzählige Arme strecken sich in die Höhe. Gesichter sind vor Wut verzerrt. Münder schreien: „Policía tortudadora asesina!“, Polizisten, Folterknechte und Mörder.

Geliebte Feuerwehrleute, verhasste Polizei

Schritt für Schritt ziehen die Demonstranten den Ring um das Gebäude fester. Es scheint, als wollten sie das Symbol des spanischen Staates strangulieren, des Staates, der ihr illegales Unabhängigkeitsreferendum nach Kräften gestört hat. Hinter den Polizeiwagen stehen Polizisten, das Maschinengewehr im Anschlag. Da schieben sich Männer mit orangefarbenen Helmen nach vorne. Sofort wird aus Pfiffen Jubel. Die Menge teilt sich wie einst das Meer vor Moses. Für die Feuerwehrmänner Kataloniens macht jeder Platz. Sie haben beim Referendum am vergangenen Sonntag vor Wahlbüros Ketten gebildet, um Demonstranten vor der Guardia Civil und der nationalen Polizei abzuschirmen. Der Ungehorsam hat sie zu Helden der Straße gemacht.

Stinkefinger für die spanische Flagge

Ein Feuerwehrmann klettert auf eine Leiter, breitet wie ein Dirigent seine Arme aus, spricht ein paar Sätze. Die Menschen hören auf zu schreien. Dann lockert die Masse ihren Würgegriff um das Polizeihauptquartier. Aus der Blockade wird wieder ein Marsch. Viele zeigen der spanischen Flagge als Abschiedsgruß den Stinkefinger.

Dominierendes Gefühl: Unsicherheit

Über der Plaza Catalunya hängt ein Helikopter der Policía Nacional am Himmel. Die Rotoren knattern ohrenbetäubend. Vier Independistas – so nennen sich die Separatisten – sitzen auf einem Mäuerchen. Wie es ihr derzeit gehe, könne sie schwer sagen, sagt die 27-jährige Laura Masnou. „Enttäuschung ist es nicht, Angst nicht und Euphorie auch nicht.“ Sie kaut eine Weile auf ihrer Lippe herum. „Unsicherheit, ja, so würde ich mein Gefühl beschreiben.“ Die drei Männer um sie herum nicken. Carles Ruiz und David Sola leben wie sie in Barcelona und stammen wie sie aus dem Flecken Sant Quirze de Besora nicht weit von hier. Aleix Freixas kommt aus Girona.

"Spanien mag die Katalanen nicht"

Warum ist für sie Autonomie nicht genug, warum muss es gleich die Unabhängigkeit sein? Es sei nicht so, dass die Katalanen etwas gegen Spanien hätten, sagen die vier – Spanien lehne vielmehr die Katalanen ab. Sie nennen Beispiele, die in den Broschüren der Unabhängigkeitsbefürworter stehen oder abends Thema in den Sendungen der katalanischen Fernsehkanäle sind. Spanien wolle nicht akzeptieren, wenn an hiesigen Schulen überwiegend auf Katalanisch unterrichtet werde, meint Carles Ruiz. Madrid mache seit Jahren nichts, um die versprochene Bahnlinie entlang der Mittelmeerküste zu bauen, ärgert sich David Sola, und zwar nur, um Barcelona zu schwächen. Ob dies nicht auch mit den strengen Sparvorgaben nach der Schuldenkrise zu tun haben könnte? Sola winkt ab: Spanien investiere nie in die katalanische Infrastruktur.

"Faschisten haben meinen Urgroßvater erschossen"

Carles Ruiz hat schon mal in Deutschland gearbeitet. Er scheint zu spüren, dass die Argumente seiner Freunde einem Ausländer schwer zu vermitteln sind. „Um das zu kapieren, muss man hier leben und die Geschichte verstehen“, sagt er. „Die Faschisten haben meinen Urgroßvater erschossen“, erzählt Laura Masnou. „In meiner Familie haben sie auch viele umgebracht“, sagt David Sola. Sant Quirze de Besora – das kleine Provinzdorf muss bitterarm gewesen sein zu Zeiten des Spanischen Bürgerkriegs von 1936 bis 1939. Während Barcelona schon Ende des 19. Jahrhunderts als Juwel der Industrialisierung erstrahlte, darbten die katalanischen Bauern bis weit in das 20. Jahrhundert hinein in einem Land, das den Feudalismus nicht abgestreift hatte.

"Die Alten im Dorf sagen, Geschichte soll sich nicht wiederholen"

Die Anarchisten erstarkten schon vor dem Bürgerkrieg. Nach 1936 übernahmen sie in Teilen Kataloniens die Macht. Es waren die spanischen Kommunisten, die 1937 Anarchisten und Trotzkisten aus Barcelona vertrieben. Die Überlebenden endeten wenige Jahre später in den Konzentrationslagern oder Massengräbern des nationalistischen Diktators Franco. Die Behörden ließen ihre Familien noch lange spüren, dass sie „Rote“ waren. „Die Alten in unserem Dorf sagen uns, wir müssten verhindern, dass sich jetzt die Geschichte wiederholt“, meint David Sola, und Aleix Freixas aus Girona nickt dazu. Die damalige Demütigung hat sich tief in die katalanische Seele eingegraben. Hier und im Baskenland war der republikanische Widerstand gegen Franco besonders stark, und er war gepaart mit dem Gefühl nationaler Selbstbehauptung.

Spanien als "Fassadendemokratie"?

Erlebte Erniedrigung und Stolz, beides ist in vielen Familien von Generation zu Generation weitergegeben worden. Wenn Laura Masnou von ihrem ermordeten Urgroßvater erzählt, redet sie im folgenden Satz von der Brutalität, mit der die Guardia Civil und die spanische Nationalpolizei jetzt beim Referendum gegen Demonstranten vorgingen. Als handle es sich beim einen um die Fortsetzung des anderen. Die vier Aktivisten nennen Spanien eine Fassadendemokratie, die konservative Partei des Ministerpräsidenten Mariano Rajoy einen Wurmfortsatz des Franquismus. Dass sie ihre Meinung heute frei äußern können, ist für sie kein Argument. Sie wollen, dass der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont den Weg in die Unabhängigkeit zu Ende geht – zur Not auch ohne Verhandlungslösung. Und ein Rausschmiss Kataloniens aus der EU, drohendes wirtschaftliches Chaos, vielleicht gar militärisches Eingreifen? „Wir sind bereit, das alles zu ertragen“, sagt Laura Masnou. Es klingt wie ein Schwur, den sie ihrem ermordeten Großvater leistet.

"Nicht alle Katalanen waren Republikaner"

„Ich bin Katalanin, meine Familie lebte schon immer hier“, betont Maria Juher Layret. Ihr Großvater sei Anhänger der spanischen Krone gewesen und als solcher im Bürgerkrieg in einer Cheka, einem Folterzentrum der Republikaner in Barcelona, gequält worden. Die Katalanen seien nicht alle Republikaner gewesen. „Die Dinge sind nicht so schwarz oder weiß, wie es die Separatisten gerne hätten.“ Die Anwältin ist stolz auf den unblutigen Übergang vom Franco-Regime zur Demokratie im Jahr 1975. Doch das Ausmaß an Zorn, das sie jetzt erlebt, verunsichert sie. Wildfremde Menschen nennen sie Faschistin und drohen ihr an, ihr Haus werde brennen. „Jetzt holt uns alles ein, und es scheint fast so, als müssten wir alles noch einmal durchmachen.“

"Katalanische Regierung hat den Boden des Rechtsstaats verlassen"

Der deutsche Rechtsanwalt Albert Peters staunt im 5. Stock eines Bürogebäudes an der Avenida Diagona darüber, wie schnell sich alles ändern kann. Er vertritt als Präsident des „Kreises der deutschsprachigen Führungskräfte“ deutsche Unternehmer in Katalonien. Seit einer Woche rufen ihn ständig verunsicherte Manager an. „Die katalanische Regierung hat den Boden des Rechtsstaats verlassen. Das ist für das Vertrauen von Investoren ganz schlecht“, sagt Peters. Internationale Unternehmen blieben nicht lang in Unruheregionen. Produktionsstätten ließen sich nicht schnell verlegen. Firmensitze schon.

"Dann ist die Eurokrise ganz schnell wieder da"

Auf dem Glastisch vor ihm bimmelt das Handy schon wieder. Mit Vernunft und Logik sei nicht zu verstehen, warum eine reiche und innovative Region Europas dem Abgrund entgegensteuert, sinniert der Anwalt. Und, wie er fürchtet, ganz Europa mit hinabziehen könnte. „Wenn Spanien ohne Katalonien 20 Prozent des Haushalts fehlen, dann bekommt Madrid massive Probleme beim Schuldenbedienen. Dann ist die Eurokrise ganz schnell wieder da.“ Das Ganze lasse sich wohl nur mit der Franco-Zeit erklären, „mit Gefühlen“.

"Familie beinharter Nationalisten"

Peters kennt den katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont persönlich. Er hält nichts von der Theorie, der konservative Katalane pokere letztlich nur hart, damit Madrid ihm mehr Steueranteile lässt. Ein Spieler sei Puigdemont nicht. „Er meint, was er sagt. Er kommt aus einer Familie beinharter Nationalisten.“ Die Geister der Geschichte seien aus der Flasche, sagt Peters, da werde es schwer, Vermittler zu finden. „Da die EU in Katalonien inzwischen nicht mehr als neutral gilt und der König sich hinter Rajoy gestellt hat, bleiben vielleicht nur Persönlichkeiten aus der Uno.“ Ist es schon so weit und Katalonien ein Fall für die Vereinten Nationen? „Die EU hat ja versucht, potentielle Kriegsgebiete einzubinden und zu befrieden. Wenn sich zeigt, dass das nicht mehr gilt, haben wir ein Problem“, sagt Peters. Hat er eben wirklich „Kriegsgebiete“ gesagt? Durch die isolierten Bürofenster dringt leise das Dröhnen der Polizeihelikopter.

Oben, von links: Aleix Freixas, Carles Ruiz, Laura Masnou und David Sola wollen Kataloniens Unabhängigkeit. Unten: Maria Juher L
Maria Juher Layret nennt die Separatisten Fanatiker. Sie sähe am liebsten Panzer in Barcelona. Damit Katalonien in Spanien bleibt und die Pro-Spanier unter den Katalanen beschützt werden.
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Von links: Aleix Freixas, Carles Ruiz, Laura Masnou und David Sola wollen Kataloniens Unabhängigkeit. Für sie ist Spanien eine Fassadendemokratie. So sehen es viele Protestler in Barcelona.
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